Dschungelcamp mal anders
Notiert in London
Dschungelcamp mal anders
Von Andreas Hippin
Der britische Fernsehsender Channel 4 hat in Sachen Krawallfernsehen schon immer Maßstäbe gesetzt. „Benefits Street“ brachte britischen Familien den Alltag in einem Armenviertel von Birmingham nahe. „The British Tribe Next Door“ zeigte, was passiert, wenn man so eine Familie samt ihrem Haus nach Namibia verlegt.
Das Aufeinandertreffen der ehemaligen Dschungelcamp-Gewinnerin Scarlett Moffat mit dem halbnomadischen Stamm der Himba sorgte im großbürgerlichen Milieu bereits für Schnappatmung. Dabei kamen beide Seiten gut miteinander klar und trugen am Ende wertvolle Einsichten davon.
Lernen durch Erfahrung
Doch die neue Reality-Show „Go Back to Where You Came From“ stellt alles bisher Dagewesene in den Schatten. Die Idee erinnert an das Konzept, jugendliche Straftäter auf Segeltörns zu schicken in der Hoffnung, dass sie dort sozial erwünschtes Verhalten lernen. Ausländerfeindliche Briten sollen die Herkunftsländer von Flüchtlingen erleben und sich von dort aus auf den beschwerlichen Weg nach Europa machen.
Channel 4 bringt die modernen Gladiatoren in getrennten Gruppen in die Bürgerkriegsländer Somalia und Syrien. Dass dabei eine Menge rassistische Sprüche über den Sender gehen, ist unvermeidlich. Dave, ein Koch aus Nottingham, würde am liebsten die Küste von Dover verminen, um zu verhindern, dass Zuwanderer in kleinen Booten über den Ärmelkanal kommen. Chloe, die öfters im konservativen Sender GB News zu sehen war, fürchtet, dass Großbritannien bald voller Burka-Trägerinnen sein wird.
Grauenhafter Alltag
Zwei der sechs Teilnehmer vertreten Gegenpositionen: Mathilda, eine Podcasterin, die in Flüchtlingslagern gearbeitet hat, und Bushra, eine Muslimin, die findet, dass ein Großteil der britischen Bevölkerung „dumm wie Schxxxx ist“. Die Erklärungsansätze von Mathilda aber wirken vor dem grauenhaften Alltag, den ihre Gruppe in Mogadischu nicht wirklich erlebt, sondern nur besichtigt, doch sehr theoretisch.
Ein elender Markt und ein noch elenderes Flüchtlingslager wecken bei den anderen Teilnehmern eher Ängste, dass sich noch mehr Menschen auf den Weg nach Europa machen werden. Die bis auf die Zähne bewaffnete Security-Truppe, von der die Gruppe auf Schritt und Tritt begleitet wird, macht jede wirkliche Annäherung an die Menschen vor Ort unmöglich.
Neues Dokumentarfernsehen
Bushras Gruppe ist in Ar-Raqqa unterwegs, einem Ort, der von den demokratischen Kräften Syriens vom Islamischen Staat befreit wurde. Hier zeigt Dave, dass ihm die Menschen dort nicht egal sind. Er will für eine Familie kochen, die in ihrem zerbombten Haus sitzt. Das gemeinsame Essen verbindet. Doch zur Übernachtung dort kommt es nicht mehr. Die Briten werden aus Sicherheitsgründen mitten in der Nacht evakuiert. Für die Familie gibt es diesen Luxus nicht.
Das Verdienst der Show besteht darin, dass sie ungeschönt zeigt, wie die Menschen in Teilen Syriens und Somalias leben. Channel 4 zeigt ein neues Dokumentarfernsehen, das verstört. Denn es wird keine einfache Lösung für die gezeigten Probleme präsentiert. Dass Bushra im Anschluss mit antisemitischen Äußerungen auf X auffällt, zeigt nur, wie kompliziert das Leben in einer multikulturellen Gesellschaft ist. Das Dschungelcamp-ähnliche Format mag irritieren. Doch es funktioniert.