Notiert inSchanghai

Ein Affenkönig auf dem Gaming-Thron

Der derzeit mächtigste Affe heißt nicht King Kong, sondern Wukong und ist kein gewalttätiges, sondern ein kulturell anspruchsvolles Wesen. Mit einem höchst erfolgreichen Videospiel soll er nicht nur Chinas Gaming-Industrie wieder in Schwung bringen, sondern auch Softpower in die westliche Welt tragen.

Ein Affenkönig auf dem Gaming-Thron

Notiert in Schanghai

Ein Affenkönig auf dem Gaming-Thron

Von Norbert Hellmann

Reise in den Westen“ heißt einer der großen chinesischen Literaturklassiker aus der Ming-Dynastie. Auf Geheiß des Kaisers begibt sich ein Mönch in Gesellschaft des Affenkönigs Wukong und zweier weiterer seltsamer Gestalten auf eine denkbar beschwerliche Reise. Ihr Job ist es, heilige buddhistische Schriften aufzuspüren und nach China zu bringen, doch stellen sich jede Menge Dämonen und Monster in den Weg.

Klassiker auf Tech-Niveau

Die Story kennt jeder Chinese, egal welches Bildungsgrads. Das liegt auch an Filmen und TV-Serien mit allerdings eher stümperhaften Spezialeffekten. Ein megaaufwendiges Computer-Videospiel namens „Black Myth: Wukong“ bringt die Chose nun auf Tech-Niveau und soll dem in Ehren gehaltenen Kulturstoff dabei auch grenzüberschreitende Tragweite verleihen.

Beschwerlicher Hindernislauf

Für den Durchbruch zeichnen der Spieleentwickler Game Science und der hinter ihm stehende Tech-Konzern Tencent verantwortlich. Fast fünf Jahre hat es gedauert, bis das Affenkönig-Videospiel das Licht der Spielkonsolen erblicken durfte, und zwar nicht nur wegen des hohen technischen Aufwands. Vielmehr hat Chinas Gaming-Branche selbst eine jahrelange, äußerst beschwerliche Reise hinter sich, bei der die Dämonen in Form der Pekinger Tech-Regulierungskampagne permanent im Weg standen.

Nationale Kampagne

Vor dem Hintergrund der laufenden Konsummisere aber hat sich die Regierung im Sommer einen Ruck gegeben und die Beschränkungen für neue Spieltitel stark gelockert. Vielleicht aus schlechtem Gewissen heraus spendiert Peking nun gar eine Art nationale Marketingkampagne. Staatliche Medienkanäle lassen täglich Jubelarien zum Videospiel vom Stapel und besingen die frisch entstehende „Wukong Economy“.

Aufstieg in die AAA-Liga

Besonders gefeiert wird der Aufstieg der Nation in die von den USA und Japan dominierte Szene für global zugkräftige „AAA-Games“. Das sind anspruchsvolle Titel, die nicht nur über Streamingkanäle abgerufen, sondern als eigenständige Kopien für Playstations verkauft werden. Die Sache lässt sich tatsächlich gut an. Nur vier Tage nach dem Start wurde die Marke von 10 Millionen verkauften Kopien erreicht. Auch Statistikwerte zur globalen simultanen Spielanwendung auf Plattformen und Konsolen bewegen sich auf rekordverdächtigem Niveau.

Bildungsreise einmal anders

Ob die Detailtreue zu historischen Schauplätzen und kulturellen Insignien von der internationalen Gamer-Community wirklich geschätzt und nachempfunden werden kann, sei dahingestellt. Im eigenen Land aber geht die Post ab. In der Provinz Shanxi, die für zahlreiche „In-Game-Locations“ aufkommt, tobt gerade der Wukong-Tourismus. Statt Shanghai Disneyland steuern Familienausflüge nun bevorzugt Tempelstätten in Pingyao oder Taiyuan an. Landesweit sind Gaming-Hotels ausgebucht. Deren Zimmer überzeugen nicht mit Bett- und Badkomfort, sondern mit Computer-Hardware für Videospiele und flottem Internet. Nun locken sie alle mit Wukong-Specials. Chinas Jugend erlebt einen Kultursommer mit unvergesslichen Bildungsreisen.

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