Ein Kolosseum für Mainhattan
Frankfurt sieht sich gerne als Weltstadt – und will als solche natürlich auch Patronin der Künste sein. Aktuell machen Pläne die Runde, für die wieder mal die ganz großen Vorbilder herhalten müssen: So soll im Sommer an der Grenze zu Offenbach ein Corona-konformes Freilufttheater im Stil des Londoner Globe Theatre entstehen. Die Lokalnachrichten bemühen auch den vielleicht etwas unglücklichen Vergleich zum Kolosseum in Rom – wobei sich der Auftritt der ein oder anderen modernen Performance-Theatergruppe durch Hinzufügen schwerbewaffneter Gladiatoren und einiger Löwen wohl tatsächlich packender gestalten ließe.
Ähnlich liebevoll wie die Beziehung zwischen Löwe und Gladiator ist das Verhältnis zwischen Frankfurt und Offenbach. Die Vorstellung, dass Künstler aus Mainhattan auf dem Gebiet des Nachbarn kulturelle Brücken schlagen, mutet doch durchaus romantisch an. In jedem Fall stellen die Theaterpläne ein positives Signal für die deutsche Schauspielszene dar, die während der Coronakrise lange Zeit sträflich vernachlässigt wurde.
Welchen Stellenwert der Wirtschaftszweig Kunst und Kultur für die Entwicklung einer Stadt hat, unterstreicht auch das Politikum um Abriss und Neubau der Städtischen Bühnen in Frankfurt. Heißes Thema ist vor allem der neue Standort von Oper und Schauspiel. So plädierte eine Architektin, die eine Sanierung des Bestands für möglich hält, schon im vergangenen Jahr für ein „selbstbewusstes Weiterbauen“. Wobei sich die Frage stellt, wie denn ein kleinlautes Weiterbauen aussehen würde – und ob die Handwerker, die seit Monaten die Wohnung im Stockwerk unter mir renovieren, diese Arbeitstechnik eventuell erlernen können.
Auch abseits der Bretter, die die Welt bedeuten, zeigt sich, dass Frankfurt als Erlebnisstandort durchaus noch Zukunft besitzt. So soll das Senckenberg-Naturmuseum über die kommenden zwölf Jahre für insgesamt rund 316 Mill. Euro saniert und erweitert werden, wobei das Land Hessen rund 200 Mill. Euro zuschießen will. Zwar dürften solche Investitionszusagen der öffentlichen Hand manchen Steuerzahler angesichts der jüngsten Erfolge deutscher Großbauprojekte zusammenzucken lassen, doch erscheint ein frischer Anstrich für die altehrwürdige Naturkundesammlung durchaus sinnvoll.
Denn die Senckenberg Gesellschaft hat den Gedanken einer Dauerausstellung an ihrer Hauptrepräsentanz in den vergangenen Jahrzehnten auf die Spitze getrieben: Wer seine leidgeplagten Eltern wie der Autor dieser Zeilen schon als fünfjähriger Möchtegern-Paläontologe jedes zweite Wochenende zu den Dinosaurierskeletten und der wasserschweinfressenden Schlange geschleift hat, findet wohl auch heute noch blind den Weg zwischen seinen alten Lieblingsexponaten hindurch.
Dass die leichte Vergilbung im Federkleid des Himalaya-Geiers langjährigen Besuchern als eine der größten Veränderungen im Naturmuseum erscheint, kann allerdings auch als beruhigende Konstanz in schnelllebigen Zeiten ausgelegt werden. Und dass ein Besuch der Dauerausstellung keine neuen Erkenntnisse mehr bringt, stimmt ja auch nicht – wenngleich die Information, dass Grindwale vermutlich deshalb so häufig im Dutzend stranden, weil ihnen in Ufernähe die Ultraschall-Echopeilung versagt, als Eisbrecher auf einer Dinnerparty sicherlich nur begrenztes Potenzial besitzt.
Obwohl die Effekte der Coronakrise auf die Kultur- und Erlebniswelt noch nicht ausgestanden sind und für zahlreiche kleinere Anbieter existenzbedrohend bleiben, scheint in Frankfurt ein bisschen Aufbruchstimmung zu entstehen. Zumal sich die Szene mit zahlreichen virtuellen Angeboten schon sehr gut selbst geholfen hat – beim Frankfurter Lichter Filmfest kam jüngst sogar per Youtube-Übertragung etwas Festivalstimmung auf. Dennoch dürfte sich das Publikum dankbar zeigen, wenn es Veranstaltungen bald vor Ort im Freilufttheater erleben darf – selbst ohne Löwen und Gladiatoren.