Notiert inTokio

Ein selten großes Politchaos

Fumio Kishida sorgt mit seiner Ankündigung, als Partei- und Regierungschef nicht wieder anzutreten, für maximales Durcheinander in der regierenden Liberaldemokratischen Partei.

Ein selten großes Politchaos

Ein selten großes Politchaos

Von Martin Fritz

Man stelle sich vor, ein deutscher Kanzler kündigt an, den Vorsitz seiner Partei nach einem Monat aufzugeben und als Regierungschef zurückzutreten, ohne sich um seine Nachfolge zu kümmern. Dieses seltene Szenario spielt sich gerade in Japan ab: Premier Fumio Kishida hat am Mittwoch wegen eines Spendenskandals erklärt, sich im September nicht als Vorsitzender der regierenden Liberaldemokraten (LDP) zur Wiederwahl zu stellen. Dann kann der 67-Jährige auch nicht Premierminister bleiben, da die Führung der Regierungspartei und das höchste Regierungsamt traditionell in einer Hand liegen.

Kein Favorit in Sicht

Nun laufen sich voraussichtlich zehn (!) Kandidaten für das Amt des LDP-Chefs warm, um auf diese Weise Premierminister zu werden. Solch eine Ungewissheit hat es in der Geschichte der Partei, die Japan seit 1955 bis auf zwei kurze Perioden ununterbrochen regiert, noch nie gegeben. „Durch seinen Rückzug aus dem Rennen sorgt Kishida für eine besonders chaotische LDP-Wahl, die aus einem ohnehin schon umkämpften Rennen mit einem verwundbaren Amtsinhaber ein wildes Durcheinander mit zahlreichen plausiblen Anwärtern, aber keinem offensichtlichen Favoriten macht“, kommentierte Tobias Harris vom Beratungsunternehmens Japan Foresight.

Die Notwendigkeit, dass ein LDP-Abgeordneter mindestens 20 Unterstützer aus den Reihen seiner Fraktion benötigt, um zur Wahl anzutreten, verschärft das Chaos. In der Vergangenheit war die LDP-Fraktion in sieben bis acht Machtgruppen, sogenannte Faktionen, unterteilt. Wer für den Parteivorsitz kandidieren wollte, warb um die Unterstützung von Anführern der Faktionen. Sie dienten als Macht-Broker.

Ausgeschaltete Macht-Broker

Aber als Reaktion auf den Spendenskandal hatte Kishida die Faktionen zumindest auf dem Papier aufgelöst, weil diese parteiinternen Gruppen für den jüngsten Spendenskandal verantwortlich waren. Abgeordnete hatten schwarze Kassen aus Rückflüssen vom Verkauf von Eintrittskarten für Spendenpartys angelegt. Die Führungen der Faktionen hatten diese Kickbacks an der Steuer vorbei organisiert.

Nur Faktionschef Taro Aso, ein Ex-Premierminister und als Finanzminister lange Zeit die Nummer 2 in der LDP, weigerte sich, der Anordnung von Kishida zu folgen. Dass Aso sich mit der ominösen Bemerkung „Denk‘ über Deine Zustimmung nach“ nicht hinter Kishidas neuerliche Kandidatur stellen wollte, gilt als Hauptgrund, warum der Partei- und Regierungschef seine Hoffnung auf eine Wiederwahl verlor.

Kishida will „frisches Gesicht“

Allerdings legte Kishida seinen schärfsten Gegnern einige Steine in den Weg. Als Nachfolger wünschte er sich ein „frisches Gesicht“, das durch einen Bruch mit der Vergangenheit einen glaubwürdigen Neuanfang symbolisiere. Das trifft nicht auf alte Widersacher von ihm zu, darunter Ex-Verteidigungsminister Shigeru Ishiba, Digitalminister Taro Kono und Ex-Ministerin Sanae Takaichi, die alle über 60 Jahre alt sind. Doch diese LDP-Granden sind unter den ersten, die ihren Hut in den Ring werfen.

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