Ein Weihnachtsgeschenk für nächstes Jahr
Diese Woche werde ich bestimmt nicht nach Paris reinfahren“, sagt eine Freundin, die in einem Vorort der französischen Hauptstadt wohnt. Die neue Woche beginnt für viele Franzosen mit großen Fragezeichen. Wie stark werden die angekündigten Streiks, mit denen die Gewerkschaften die Regierung von Präsident Emmanuel Macron zur Aufgabe der geplanten und heiß diskutierten Rentenreform bringen will, ihr Leben wirklich beeinträchtigen?
Rasseln die Gewerkschaften nur mit den Säbeln? Oder werden sie das Land tatsächlich wie angedroht lahmlegen und die Streiks auch an den Tagen nach dem 7. März fortsetzen? Die Gewerkschaften zumindest haben dazu aufgerufen, auch am 8. März, dem Weltfrauentag, weiter Druck zu machen. Die Folgen der geplanten Rentenreform seien vor allem für Frauen schwerwiegend, argumentieren sie. Denn oft seien es Frauen, die bis zum Alter von 67 Jahren arbeiten müssten, um auf volle Rentenzahlungen zu kommen.
Zahlreiche Franzosen haben bereits entsprechende Vorkehrungen für die Streiks getroffen, sich auf die Arbeit im Homeoffice eingestellt und Termine verlegt. Eine Bekannte, die diese Woche an einer Universität in Belgien einen Gastvortrag halten soll, ist lieber mit einem Tag Vorlauf angereist und übernachtet vor Ort, um das Risiko, nicht rechtzeitig anzukommen, zu vermeiden. Ein anderer Bekannter aus Bordeaux, der am Dienstag in die USA fliegen muss, hat die Anreise zum Flughafen nach Paris ebenfalls vorgezogen und vorsichtshalber ein Zimmer in einem Flughafenhotel reserviert.
Die Streiks könnten indirekt auch die Wiederaufbauarbeiten von Notre-Dame verlangsamen, sollten die beteiligten Handwerker, Architekten, Ingenieure und Wissenschaftler nicht problemlos zur Baustelle kommen können. Fast vier Jahre ist es her, dass die berühmte gotische Kathedrale am 15. April 2019 bei einem Brand schwer beschädigt wurde. Das Unglück hat nicht nur viele Franzosen mitten ins Herz getroffen. Das zeigt auch die große Hilfsbereitschaft, die das Feuer ausgelöst hat. So haben 340000 Menschen und Unternehmen aus 150 Ländern mehr als 845 Mill. Euro gespendet, um die Sicherungs- und Renovierungsarbeiten zu finanzieren.
Einen Blick hinter die Kulissen der Jahrhundertbaustelle, zu der die Öffentlichkeit keinen Zutritt hat, bietet nun eine neue Ausstellung in einem ehemaligen Parkhaus unter dem Vorplatz der Kathedrale. „Wir wollten die Unternehmen, die dem kulturellen Erbe dienen, würdigen und auch die Berufe vorstellen, die an den Arbeiten beteiligt sind“, sagt Philippe Jost. „Wir wollen damit das Interesse von jungen Menschen wecken.“ Jost ist der stellvertretende Direktor des öffentlichen Unternehmens, das nach dem Brand gegründet wurde, um die Wiederaufbauarbeiten durchzuführen. Viele beteiligte Unternehmen seien auf der Suche nach neuen Mitarbeitern und hätten Schwierigkeiten, Nachwuchs einzustellen.
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Zu den an den Wiederaufbauarbeiten beteiligten Handwerksbetrieben gehört auch die Dombauhütte in Köln, die vier Glasfenster aus dem Obergaden des Langhauses restauriert hat. „Wir sind stolz darauf, was wir schon gemacht haben“, sagt Jost. Vor einem Holzmodell der Kathedrale erläutert er, wie die durch das Feuer zerstörte, im 19. Jahrhundert von Eugène Viollet-le-Duc nachträglich erbaute Kirchturmspitze in den nächsten Monaten wieder aufgebaut werden soll. „Vermutlich wird das Holzgerüst im Oktober oder November fertig sein“, erklärt er. „Danach wird sie mit Blei verkleidet.“
Bis Besucher das berühmte Bauwerk wieder betreten dürfen, wird allerdings noch einige Zeit vergehen. „Sie wird für die Öffentlichkeit nicht während der Olympischen Spiele zugänglich sein“, sagt Jost. „Auch wenn die Arbeiten im Sommer 2024 fertig werden, wird sie erst Ende nächsten Jahres wieder eröffnet werden, mit einer öffentlichen Messe.“ Sie soll an Mariä Empfängnis, dem 8. Dezember 2024, stattfinden. Für die Einwohner von Paris könnte es kein schöneres Weihnachtsgeschenk als die Wiedereröffnung von Notre-Dame geben.