Washington

Eine Präsidentschaft auf der Kippe

Im vergangenen November hatte Joe Biden noch einen rauschenden Sieg gegen Donald Trump gefeiert. Nun haben Wähler in Virginia und New Jersey Biden aber einen Denkzettel verpasst, und seine Präsidentschaft gerät schwer ins Wanken.

Eine Präsidentschaft auf der Kippe

Ein Jahr nach seinem historischen Wahlsieg, bei dem er mehr Stimmen erobert hatte als jeder andere Kandidat in der Geschichte, hat US-Präsident Joe Biden eine schwere Schlappe hinnehmen müssen. Bei der Abstimmung über den Gouverneursposten in Virginia verlor der favorisierte Demokrat Terry McAuliffe gegen den konservativen Republikaner Glenn Youngkin, der die Unterstützung des ehemaligen Präsidenten Donald Trump genoss. Noch größer war die Überraschung im Staat New Jersey, der traditionell eine Hochburg der Demokraten ist. In New Jersey verfügen die Demokraten schließlich über 1 Million mehr registrierte Wähler als die Republikaner. Trotzdem lieferten sich dort der amtierende Regierungschef Phil Murphy, ein Demokrat, der unter Präsident Barack Obama US-Botschafter in Berlin war, und sein republikanischer Herausforderer ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Das Ergebnis stand am Mittwoch noch nicht fest. Nachzählungen könnten aber unvermeidlich sein.

Den Gouverneurswahlen kommt deswegen nationale Bedeutung zu, weil sie ein möglicher Vorbote der Kongresswahlen im November 2022 sind. Beflügelt hat die Republikaner vor allem der Sieg des politischen Neulings Youngkin. Der Investmentbanker hat nämlich erfolgreich vorexerziert, wie ein Kandidat die politische Basis des früheren Präsidenten Trump bei Laune halten kann, ohne gemäßigte Republikaner und unabhängige Wähler zu entfremden, die Trump ablehnen.

In konservativen Bezirken bedankte sich Youngkin für die Unterstützung des Ex-Präsidenten und begeisterte Trumpianer mit Appellen an deren Patriotismus. Er sprach sich gegen Abtreibung ebenso wie schärfere Waffengesetze aus. Bei Auftritten vor politisch moderaten Wählern hingegen distanzierte sich Youngkin von Trump. Dort kritisierte er Biden und plädierte für bessere Schulen, niedrigere Steuern sowie weniger staatliche Eingriffe in die Wirtschaft. „Youngkin hat unseren Kandidaten den perfekten Leitfaden dafür gegeben, wie sie nächste Jahr kandidieren müssen, um die Kongressmehrheiten zurückzugewinnen“, sagte der republikanische Berater Scott Jennings. Einige Republikaner setzen sich bereits dafür ein, dass Youngkin 2024 als Präsidentschaftskandidat antritt.

Viele Wähler, die vergangenes Jahr für Biden gestimmt hatten, sagten aber auch, dass sie eine Botschaft an die Adresse des Präsidenten schicken wollten, der in der Gunst seiner Landleute tief gestürzt ist. Enttäuscht sind sie von dem desaströsen Rückzug aus Afghanistan, aber auch den Flügelkämpfen innerhalb der demokratischen Partei und Bidens Unvermögen, wichtige Gesetze durch den Kongress zu bekommen. Die politische Verantwortung dafür muss aber Biden auf sich nehmen, der geglaubt hatte, die streitenden Fraktionen zusammenführen zu können, bisher aber leer ausgegangen ist.

Zwar muss Biden nun aus dem fernen Glasgow zusehen, wie ihm Wähler eine schallende Ohrfeige verpasst haben und seine Präsidentschaft in Frage stellen. Dennoch hat er mehr als genug Zeit, um das Ruder herumzureißen. Ein bedeutender Start wäre, wenn sich die Demokraten zusammenraufen und seine Ausgabenprogramme rasch in Gesetzesform gießen. Die besten Chancen haben derzeit die geplanten Investitionen in die Infrastruktur, über die schon während der kommenden Tage abgestimmt werden könnte. Früher oder später muss sich Bidens Partei aber auch auf ein Haushaltsgesetz verständigen, das mehr als 500 Mrd. Dollar dem Kampf gegen den Klimawandel widmen würde.

Notwendig ist zudem, dass Demokraten erschöpfte Wähler wieder begeistern. Vergangenen November waren sie in Rekordzahlen erschienen, um zu verhindern, dass Trump eine zweite Amtsperiode bekommt. Nun zeichneten sich aber viele Demokraten durch jene Trägheit aus, die typisch ist für das Jahr nach einer Präsidentschaftswahl. „Die Partei braucht wieder neue Gesichter und neue Ideen, etwas, das die Leute wieder animiert“, sagte der demokratische Stratege Paul Begala. Falls das alles gelingt, dann kann Biden seine Präsidentschaft noch retten. Ohnedies könnte er aber 2022 die demokratischen Mehrheiten im Kongress verlieren und wäre schon zur Halbzeit seiner ersten Amtsperiode zu einer politisch lahmen Ente degradiert.

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