Einsteins Grips im Warenkorb
Einsteins Grips im Warenkorb
Von Norbert Hellmann
Kleine Schläge auf den Hinterkopf erhöhen die Denkfähigkeit, hieß es früher einmal. In China verbreiten sich modernere Methoden, um Denkanstöße zu generieren und dem Intelligenzquotienten zumindest gefühlt einen kleinen Booster zu gönnen. Wer mit von der Partie sein will, muss sich keineswegs in Unkosten stürzen. Für Beträge von 1 Yuan (13 Cent) oder weniger lässt sich nämlich auf Taobao, der Alleskönner-Plattform für Online-Shopping, ein Link zu Albert Einsteins Gehirnmaterie downloaden.
Auch für Chinesen gilt Einstein als Inbegriff der Intelligenzbestie. Insbesondere beim schulstressgeplagten jüngeren Publikum wird er zum Idol hochstilisiert, das mit kreativen Gedankensprüngen andere Wege zu gehen und intellektuelles Neuland zu erkunden wusste. Wer via Taobao bei Einsteins Hirnkastl anklopft, erwirbt keine Gewebeprobe, die vom Expresskurier im Reagenzglas zugestellt wird. Vielmehr erhält man ein Onlinezertifikat, das einem bescheinigt, graue Zellen des großen Physikerhirns virtuell angezapft zu haben.
Was bringt das Ganze und wen macht das schlauer? Die Frage muss an den in der Generation Z verorteten Hauptkundenkreis gerichtet werden. Nehmen wir stellvertretend ein paar Antworten von zufriedenen Kunden, die sich für einen Kleckerbetrag mit Einsteins Hirnmaterie virtuell eingedeckt haben. „Es macht mich froh“; „ich fühle mich geistig vitalisiert“; „es verleiht mir mehr Selbstbewusstsein“. So lauten typische Lobsprüche. Es geht um emotionelle Dienstleistungen via E-Commerce. Sie sollen Hilfe, Selbstbewusstsein, Trost oder ein kurzes gutes Gefühl generieren. Das alles, ohne eine psychologische Fachkraft zu bemühen oder gar eine teure Therapiesitzung beanspruchen zu müssen.
Die kleine Amtshandlung wird als Glücksbringer oder Mini-Hoffnungsspender verstanden, den man sich für bestimmte Stresssituationen gönnt. Vielleicht vor einer Klausur, einem Bewerbungsgespräch, einem vielversprechenden Date oder gar der eigenen Hochzeit. Wem es gelingt, sich mit ein paar Mausklicks und 1 Yuan Spieleinsatz ein gutes Gefühl zu verschaffen, der ist im Endergebnis zumindest nicht für dumm verkauft worden.
Saisonhöhepunkt für das Einstein-Business ist der Frühling. Nicht nur, weil mehr Dates und Hochzeiten anstehen, sondern weil sich Chinas lerneifrige Jugend dann im Anlauf auf den berüchtigten „Gaokao“ befindet. Es geht um Chinas knallhart darwinistische Abiturprüfung, die den Zugang zu den besten Universitäten regelt.
Wer in der alles entscheidenden Gaokao-Prüfungswoche glänzt, findet sich in einem lebenslang gemachten Bettchen wieder. Für sozialen Aufstieg und erfolgreiche Berufslaufbahn ist dann quasi von allein gesorgt. Zhang Jianxi, dem Erfinder des Einstein-Gehirn-Downloads, kam die Idee bezeichnenderweise, nachdem er bei der Gaokao-Prüfung kläglich gescheitert war. Angesichts gründlich versauter Uni-Chancen musste er neue kreative Wege gehen, um als Mini-Tech-Entrepreneur was aus sich zu machen.