Entschleunigung versus Massifizierung
Notiert in Madrid
Entschleunigung vs. Massifizierung
Von Thilo Schäfer
Gibt es eine südeuropäische Metropole mit weltberühmten Kultureinrichtungen und anderen Sehenswürdigkeiten, die man mitten zur Hauptferienzeit im August besuchen kann, ohne mit den üblichen Menschenmassen ringen zu müssen? Versuchen Sie es mal mit Madrid. Selbstverständlich kommen auch im August viele, überwiegend internationale Besucher in die spanische Hauptstadt, doch sind es spürbar weniger als im Rest des Jahres. Die Touristen konzentrieren sich auf die begehrtesten Ecken: die Museumsmeile von Prado, Reina Sofia und Thyssen-Bornemisza, die Plaza Mayor oder den Königspalast. Aber auch da sind die Schlangen nicht so lang wie sonst, weil inländische Reisende von einem Besuch Madrids im Hochsommer angesichts der Temperaturen lieber absehen.
Nur in wenigen Ecken abseits der Touristengegenden herrscht eine eindrucksvolle Ruhe. Die letzten Madrilenen verlassen spätestens nach dem 15. August die Stadt. Restaurants, Bars und Geschäfte schließen, auch wenn der Shutdown im August nicht mehr ganz so umfassend ist wie zu früheren Zeiten.
In Barcelona, der anderen großen Metropole des Landes, sieht es im August anders aus. Zwar fliehen auch viele Einwohner der katalanischen Hauptstadt in die Sommerfrische. Bei ausländischen Touristen steht die Stadt am Mittelmeer dagegen weit oben auf der Liste. Die Stadtverwaltung wendet diesen Sommer ein neues System an, um die Besucherströme in besonders belebten Zonen zu steuern. Zu den Highlights zählen der Markt La Boqueria an den Ramblas sowie die Meisterwerke von Antoni Gaudí, der Park Güell und die Sagrada Família – wahrscheinlich Europas langjährigste Baustelle. Die Besucherströme werden dort mit zusätzlichem Personal und der Entfernung urbanen Mobiliars besser gesteuert. In Zukunft sollen Touristen über eine neue App über die Auslastung in diesen Zonen informiert werden, um ihre Sightseeing-Tour entsprechend planen zu können. Die linke Stadtregierung ist darum bemüht, die negativen Folgen des Besucherandrangs für die Einwohner zu mindern. So erreichte man, dass Google eine lokale Busroute zum Park Güell aus dem Suchsystem entfernte, so dass Urlauber auf andere Verkehrsmittel ausweichen und den Bus wieder den Anwohnern überlassen.
Barcelona und ganz Spanien erwarten für dieses Jahr nach 2023 einen neuen Touristenrekord. Für eine Abkühlung könnten weniger die Maßnahmen zur Regulierung beitragen als vielmehr die hohen Preise. Analysten der Caixabank prognostizieren anhand der Kreditkartendaten der größten Bank auf dem spanischen Markt für den Monat Juli ein Umsatzwachstum im Gastgewerbe von nur noch 0,1% im Vergleich zum Vorjahr. Im Juni waren es noch 9,5%. Auch das Finanzamt registrierte eine Verlangsamung der Mehrwertsteuereinnahmen. Die Leute scheinen den Geldbeutel enger zu schnallen. In Madrid ist es im August bei dem arg begrenzten gastronomischen Angebot sowieso schwerer, sein Geld auszugeben.