LEITARTIKEL

Es ist was faul am Standort D

Wem verdanken wir Deutschen unsere prosperierende Wirtschaft und die relativ sicheren Arbeitsplätze, unseren Wohlstand und den üppigen Sozialstaat? Woher kommt es, dass sich der "Standort D" weltweit eines Rufs wie Donnerhall erfreut und nicht...

Es ist was faul am Standort D

Wem verdanken wir Deutschen unsere prosperierende Wirtschaft und die relativ sicheren Arbeitsplätze, unseren Wohlstand und den üppigen Sozialstaat? Woher kommt es, dass sich der “Standort D” weltweit eines Rufs wie Donnerhall erfreut und nicht zuletzt deshalb auch Hunderttausenden Flüchtlingen als nicht nur sicherer, sondern auch ökonomisch chancenreicher und mithin besonders attraktiver Zufluchtsort erscheint? Woraus resultiert, dass die Ursprungskennzeichnung “Made in Germany” rund um den Globus als Synonym für höchste Qualität, eben für deutsche Wertarbeit, steht und dass wir (auch) bei der Exportweltmeisterschaft regelmäßig einen der Spitzenplätze belegen?Sollten all diese Errungenschaften auf nichts als Lug und Trug gebaut sein? Dass die Erfolge auf ehrliche Leistungen von “Vorzeigeunternehmen” wie Volkswagen, Deutsche Bank oder Siemens zurückzuführen sein könnten, will in einer Momentaufnahme nicht recht einleuchten. Der führende Autobauer betuppt Millionen Kunden mit gefälschten Abgaswerten, vom dreisten Umweltfrevel hier mal ganz abgesehen. In der großen weiten Finanzwelt scheint es seit etlichen Jahren nur wenige bedeutende Skandale gegeben zu haben, bei denen der in Tausende Rechtshändel verstrickte Primus der hiesigen Geldbranche keine unrühmliche Rolle gespielt hat; Strafzahlungen in Multimilliardenhöhe wie im Fall der Zinsmanipulationen sind die Folge. Zu allem Überfluss musste die Bank einräumen, Ermittlungen von Behörden behindert zu haben. Beim gleichermaßen zur wirtschaftlichen Hautevolee der Republik gehörenden Technologiekonzern Siemens konnte über Jahre ein Korruptionsgeschwür wuchern, das seinesgleichen sucht. Den Schaden haben neben den Kunden jeweils auch die Aktionäre und – nicht zu vergessen – die Steuerzahler.In allen Fällen wollen die Häuptlinge, deren extreme Vergütungen – falls überhaupt – nur zu rechtfertigen wären, wenn die Konzernführungen keine Kultur duldeten, in der sich kriminelle Energie von systemischer und für die Unternehmen existenzgefährdender Tragweite ausbreiten kann, nicht gewusst haben, welche Machenschaften der Indianer an der Tagesordnung waren. Und das bei vermeintlichen Ausnahmemanagern, die den Sitz jeder Schraube in ihrem Produkt kennen oder dafür bekannt waren, in den Handelssälen allgegenwärtig zu sein! Und wenn sie trotz klarer Verdachtsmomente wirklich nichts gewusst hätten von Manipulationen mittels raffinierter Programme oder Schmiergeldzahlungen, die – gerichtsnotorisch – “vielen im Hause Siemens bekannt” waren? Das machte die Sache kein bisschen besser. Auch Kontrollversagen ist Versagen.Gemein ist diesen und weiteren Fällen, neben dem pflichtschuldigen Ruf nach einem Kulturwandel, zudem die Naivität, mit der die Verantwortlichen unterstellen, ihre schändlichen Gaunereien könnten unentdeckt bleiben. Daran glauben zwar die meisten Straftäter. Doch gehen die gewöhnlich nicht so plump zu Werke wie die Creme der Industrie etwa in Sachen Dieselgate.Ohnehin gesellt sich zu Lug und Trug ein Übermaß an zum Himmel schreiender Inkompetenz. Der real existierende Horror lässt sich insoweit exemplarisch mit drei Buchstaben auf einen Nenner bringen: BER. Jetzt werden seitens der Politik Abriss und Neu-Neubau des “final gescheiterten” Hauptstadtflughafens ins Gespräch gebracht. Sind wir hier Zeugen eines Wirtschaftsverbrechens sui generis, das gerade auf die nächste Eskalationsstufe zusteuert, oder nur Opfer von “Versteckte Kamera”?Welche Rolle spielen Politik und Behörden? Pharisäer, die jetzt auf die mutmaßlichen Täter zeigen, aber in Wahrheit lange mit diesen gekungelt oder zu Nutz und Frommen der deutschen Wettbewerbsfähigkeit auf den Weltmärkten wohlwollend weggeschaut haben? Der Gedanke scheint nahezuliegen, überzeugt aber nicht. Wer, etwa beim Bau eines Hauses oder bei Veränderungen an einer technischen Anlage, je mit einer deutschen Amtsperson zu tun hatte, vermag sich nur schwer vorzustellen, dass in der Causa Volkswagen systematisch kollaboriert wurde, damit bei der Betriebserlaubnis – im übertragenen Sinne – “nix scheppert”.Es ist offenkundig etwas faul am Standort D. Angesichts Anzahl und Schwere der über die Jahre hochkommenden Skandale verbietet es sich, von bedauerlichen Einzelfällen zu sprechen. Eher sieht es nach einem Systemfehler aus. Da stellt sich die unerquickliche Frage, ob wir es trotz oder wegen der unehrenwerten Kaufleute zu Wirtschaftskraft, Wettbewerbsfähigkeit und Wohlstand gebracht haben. Oder ist in anderen Ländern alles noch viel schlimmer, und man ist dort obendrein besser im Vertuschen?——–Von Bernd WittkowskiLug und Trug und himmelschreiende Inkompetenz: Haben wir es trotz oder wegen der unehrenwerten Kaufleute zu Wirtschaftskraft und Wohlstand gebracht?——-