EU-Kommission

EU-Reformen zur Corporate Governance in Permanenz?

Eine EU-Reform im Rahmen der Corporate Gover­nance sollte auch nachhaltige Sorgfalts­pflichten und Beset­zungs­profile von Vorständen adressieren.

EU-Reformen zur Corporate Governance in Permanenz?

Die Reformdynamik der EU-Kommission hat in jüngerer Zeit ein fast unüberschaubares Ausmaß angenommen. Neben vielfältigen Sustainable-Finance-Regulierungen und einer geplanten Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung diskutiert die EU-Kommission derzeit eine Verschärfung der unternehmerischen Sorgfaltspflichten im Rahmen der Lieferkette und Nachhaltigkeitspflichten des Verwaltungsrats („Sustainable Corporate Governance“).

Der Skandal um den ehemaligen Dax-Konzern Wirecard, der in Deutschland zum Finanzmarktinte­gritätsstärkungsgesetz (FISG) geführt hat, beschäftigt derzeit auch die EU-Kommission. Mit der Initiative „Corporate reporting – improving its quality and enforcement“, die am 12. November 2021 gestartet ist, werden umfangreiche Reformmaßnahmen im Rahmen der Unternehmensberichterstattung, internen Corporate Governance, Abschlussprüfung, Prüferaufsicht und des Enforcements bei Unternehmen des öffentlichen Interesses (Public Interest Entities – PIEs) erörtert. In einem parallelen Konsultationspapier möchte die EU-Kommission noch bis zum 4. Februar 2022 ein öffentliches Meinungsbild bei den Unternehmen und Stakeholdern zu möglichen Reformansätzen in den genannten Disziplinen einholen.

Bei einem Abgleich zwischen dem FISG und den im EU-Konsultationspapier vom 12. November 2021 angedachten Regulierungsansätzen fällt auf, dass der deutsche Gesetzgeber bereits einige Corporate-Governance-Maßnahmen mit dem FISG umgesetzt hatte. Dies betrifft zunächst die Unabhängigkeit des Abschlussprüfers durch die restriktiveren Rotationsfristen und die Begrenzung von Prüfung und Beratung sowie die erhöhten zivilrechtlichen Haftungsregelungen.

Kontroverse um Joint Audits

Eine Reformmaßnahme, die mit dem FISG nicht umgesetzt und seit Jahren äußerst kontrovers diskutiert wurde, betrifft die obligatorische Einführung von Joint Audits. Die gleichzeitige PIE-Prüfung durch zwei Wirtschaftsprüfungsgesellschaften ist aus EU-Sicht derzeit lediglich in Frankreich zwingend. Die bisherigen empirischen Forschungsergebnisse zur Prüfungsqualität fallen hierbei sehr uneinheitlich aus. Aufgrund der für mittelständische Prüfungsgesellschaften erhofften Absenkung der Markteintrittsbarrieren bei PIE-Prüfungen werden diese in Teilen der Unternehmenspraxis befürwortet.

Auch mit Blick auf die interne Corporate Governance lassen sich Regulierungen nach dem FISG wiederfinden, die im aktuellen EU-Konsultationspapier als Anti-Fraud-Management in den Blick genommen werden. Dies betrifft unter anderem die Einrichtung, Überwachung und Prüfung der internen Corporate Governance-Systeme (Risikomanagementsystem (RMS), Internes Kontrollsystem (IKS), Internes Revisionssystem (IRS) und Compliance Management System (CMS)). Nach dem FISG müssen börsennotierte Aktiengesellschaften neuerdings explizit ein angemessenes und wirksames IKS und RMS vorweisen. Ob nach dem FISG auch ein CMS (inklusive eines Whistleblowings) gesetzlich zwingend ist, ist unklar. Die Bundesregierung hat es leider versäumt, die sogenannte EU-Whistleblower-Richtlinie 2019/1937 rechtzeitig bis Ende des vorigen Jahres umzusetzen.

Wenngleich die internen Corporate-Governance-Systeme auch durch den Prüfungsausschuss beziehungsweise Aufsichtsrat überwacht werden müssen, ist die Prüfungspflicht des Abschlussprüfers durch das FISG nicht erweitert worden. Entsprechendes gilt für die externe Berichtspflicht des Vorstands zu diesen Systemen. Insofern ist das FISG auf halber Strecke stehen geblieben.

Digitalexpertise nicht nötig

Auch im Vereinigten Königreich werden derzeit diese Reformmaßnahmen, die in den USA bereits mit dem Sarbanes Oxley Act als Reaktion auf den Enron-Skandal im Jahre 2002 aufgegriffen wurden, kontrovers diskutiert. Die zwingende Einrichtung von Prüfungsausschüssen bei PIEs, die auch im aktuellen EU-Konsultations­papier Erwähnung findet, wurde mit dem FISG berücksichtigt. Zudem müssen künftig zwei Finanzexperten im Prüfungsausschuss vertreten sein. Digital- und Nachhaltigkeitsexpertise ist bis dato allerdings nicht notwendig. Die Unabhängigkeit im Aufsichtsrat beziehungsweise Prüfungsausschuss ist bei Aktiengesellschaften auch nicht (mehr seit 2016) aktienrechtlich geregelt.

Hinsichtlich eines ganzheitlichen Rahmenwerks der Europäischen Union zur Corporate Governance bemängelt die EU-Kommission, dass bislang keine einheitlichen Standards und Indikatoren zur Qualitätsmessung vorliegen würden. Die Themen Klimatransformation, digitale Transformation, Berücksichtigung von Interessen von mittelständischen Unternehmen, Kostenerleichterungen und Nachhaltigkeit (inklusive Steuertransparenz und gerechte Besteuerung) könnten ebenfalls stärkere Berücksichtigung finden. Interessanterweise hatte die EU-Kommission in den vergangenen Jahren ihre Reformaktivitäten maßgeblich in den Bereichen Unternehmensberichterstattung und Abschlussprüfung vorangetrieben. Konkrete Regulierungen im Rahmen der internen Corporate Governance waren vorrangig auf den Prüfungsausschuss als Sparringpartner des Abschlussprüfers bezogen.

In den Regelwerken stecken allerdings derzeit zu viele Mitgliedstaatenwahlrechte. Auch sollte der Wirecard-Skandal allen vor Augen geführt haben, dass sich zukünftige qualitätsfördernde EU-Reformmaßnahmen im Rahmen der Corporate Governance nicht nur auf Unternehmensberichterstattung, Prüfungsausschuss, Abschlussprüfer und Enforcement konzentrieren dürfen. Ethische beziehungsweise nachhaltige Sorgfaltspflichten und Besetzungsprofile von Vorständen müssten auch adressiert werden.

Prof. Dr. Patrick Velte lehrt Accounting, Auditing & Corporate Governance an der Leuphana Universität Lüneburg.

In dieser Rubrik veröffentlichen wir Kommentare von führenden Vertretern aus der Wirtschafts- und Finanzwelt, aus Politik und Wissenschaft.

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