LeitartikelEU-Regulierung

Europas Kapital

Die Kapitalmarktunion hat endlich eine reale Chance auf Umsetzung – nach Jahren des Herumschwadronierens. Denn es geht nicht mehr nur um Bank- oder Marktfinanzierung. Sondern um Wohlstand und Sicherheit, also ums Eingemachte.

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Europas Kapital

Von Detlef Fechtner

Nach vielen Jahren des bloßen Herumschwadronierens hat die Kapitalmarktunion endlich eine reale Chance auf Umsetzung.

Ein Gespenst geht um in Europa: die europäische Kapitalmarktunion. Seit Jahren taucht sie ständig in den Sonntagsreden von Finanzpolitikern auf. Aber es kommt wenig voran. Hier mal eine EU-Prospekt-Richtlinie, die kaum einen Börsengang motivieren konnte, dort ein Label, das den Verbriefungsmarkt nicht zu revitalisieren vermochte. Der Kapitalmarkt in Europa war und ist noch immer hochgradig fragmentiert. Das ist insofern besonders bedauerlich, als es der EU – bei allen Schwierigkeiten, politisch zusammenzuwachsen – in der Vergangenheit immerhin vergleichsweise gut gelungen ist, gemeinsame Märkte zu organisieren. Nur eben nicht für Kapital.

Vor diesem Hintergrund ist die politische Losung von der Kapitalmarktunion fast schon zu einem Ausdruck des Scheiterns verkommen. Und doch haben Europas Staats- und Regierungschefs am Freitag bei ihrem Euro-Gipfel erneut eine Art Manifest für die Kapitalmarktunion beschlossen. Wie zum Teufel geht das zusammen?

Nun, die Regierungschefs gehen davon aus, dass sich mittlerweile die Ausgangslage verändert hat und es nun endlich klappen sollte mit Fortschritten. Und diese Zuversicht ist durchaus begründet. Denn der Handlungsdruck ist für alle Beteiligten gestiegen. Alle nationalen Regierungen in Europa – selbst die, die mit Kapitalmärkten fremdeln und den Finanzmarktakteuren auch 16 Jahre nach Lehman noch nicht vertrauen – haben realisiert, dass die gigantischen Summen zur Finanzierung des nachhaltigen Umbaus der Wirtschaft hin zu einer klimaschonenden Produktionsweise und des Auf- und Ausbaus einer digitalen Infrastruktur als Basis einer weiterhin wettbewerbsfähigen Wirtschaft nur durch die Mobilisierung privaten Kapitals an Finanzmärkten aufzubringen sind.

Hinzu kommt ein riesiger Finanzierungsbedarf für die Verteidigungsfähigkeit. Kurzum: Es geht nicht mehr nur um eine eher theoretische Debatte über das Zusammenspiel von Bankkredit und Kapitalmarktfinanzierung. Sondern es geht um Wohlstand und Sicherheit. Es geht ums Eingemachte.

Rhetorische Zeitenwende

Die jüngsten Erklärungen von Bundeskanzler Olaf Scholz zeigen, dass die Politik der Kapitalmarktunion mittlerweile eine herausragende Rolle beimisst. Bemerkenswert allein schon, dass sich der Sozialdemokrat Scholz für „eine moderne Angebotspolitik“ ausspricht. Ebenso beachtlich, dass er die Kapitalmarktunion als „entscheidende Ressource für künftiges Wachstum“ bezeichnet.

Dass sich die Chancen für echte Fortschritte auf dem Weg zu einem gemeinsamen europäischen Kapitalmarkt zuletzt deutlich aufgehellt haben, liegt aber auch daran, dass die Übersetzung „from rhetorics to specifics“ gelungen ist. Eurogruppen-Chef Paschal Donohoe hat es fertiggebracht, die 20 Regierungen der Eurozone auf eine Liste sehr konkreter Maßnahmen einzuschwören. Besondere Bedeutung hat dabei der Versuch, den Verbriefungsmarkt wiederzubeleben, indem die Politik die Kernforderungen von Investoren und Banken aufgreift und an die Risikogewichtung von Verbriefungen und die Transparenzpflichten rangehen will. Zugleich gibt es neue Hoffnung, dass es zu einer gewissen Harmonisierung der insolvenzrechtlichen Vorgaben kommen wird.

Nach den drängelnden Aufforderungen von Ministern und Regierungschefs an die EU-Kommission ist im Jahresverlauf ziemlich sicher mit Gesetzesvorlagen zu rechnen, die maßgebliche Veränderungen im EU-Regelwerk für die Märkte anstoßen. Das bedeutet, dass es immerhin einmal losgeht mit der „Vollendung“ der Kapitalmarktunion – selbst wenn der Prozess gewiss Jahre dauern wird.

Im Rat und im EU-Parlament gab es zuletzt mehrere Beispiele dafür, dass die EU Einvernehmen oder zumindest ausreichende Mehrheiten organisieren kann, um selbst in kontroversen Dossiers voranzukommen. Diese Bereitschaft und Fähigkeit ist, wenn man so will, Europas politisches Kapital. Vieles spricht dafür, dass die EU es in diesem Jahr einsetzen wird, um Europas finanzielles Kapital effektiver zu heben. Nach Jahren des bloßen Herumschwadronierens hat die Kapitalmarktunion endlich eine reale Chance auf Umsetzung.

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