Frankfurt

Flitterwochen im Waldstadion

Frankfurt zwei Tage im Ausnahmezustand – was sind die Lehren? Kevin Trapp besitzt ein Körperteil mehr als der Rest der Menschheit. Mein Fernseher hinkt hinterher. Und falls Sie noch einen Hochzeitstermin suchen, empfiehlt sich der 11. Juni 2023. Aber nicht weitersagen.

Flitterwochen im Waldstadion

Bereits am frühen Donnerstagnachmittag war der Römerberg ziemlich voll. Genauso wie einige der Eintracht-Fans, die dort warteten. Weil die Menge anschließend noch Stunden in gleißender Sonne harren musste, bis die Mannschaft um Sebastian Rode am Abend endlich auf dem Römer-Balkon erschien, spricht viel für die Vermutung, dass mancher Fan die frischgebackenen Europa-League Sieger zwar sehen, aber nicht mehr wirklich erkennen konnte. Und das nicht nur wegen der Bengalos.

Nach zwei Tagen Ausnahmezustand in Frankfurt und Sevilla stellt sich die Frage, was die Lehren – oder auf gut Deutsch: die Takeaways – sind. Erstens sicherlich, dass es sich lohnt, Anhänger von Eintracht Frankfurt zu sein – so viel Party kriegt man anderswo nicht geboten. Nicht einmal Wolkenbrüche haben die Frankfurter abgehalten, die halbe Stadt auf den Kopf zu stellen, um ihre Elf frenetisch zu feiern, nur weil sie nun in der Champions League mittun darf. Dagegen nehmen Anhänger von Bayern München eine Champions-League-Teilnahme ihres Clubs allenfalls wohlwollend zur Kenntnis – und verglichen mit der Sause in Frankfurt wirkt manche Meisterfeier auf dem Marienplatz wie ein Stehempfang im Wachkoma.

Zweite Erkenntnis der zurückliegenden Tage: Kevin Trapp besitzt irgendwie ein Körperteil mehr als der Rest der Menschheit. Anders ist nicht zu erklären, wie es dem Tormann in der 118. Minute gelingen konnte, den Schuss des heranstürmenden Ryan Kent doch noch abzuwehren: „Eine Parade, die“, wie die „Frankfurter Rundschau“ zu Recht bemerkte, „mit Weltklasse nur unzulänglich beschrieben ist“.

Drittens: Reden ist Silber, Heiserkeit ist Gold. Den echten Anhänger der Eintracht erkannte man Ende dieser Woche nicht an großen Lobeshymnen auf die SGE, sondern vielmehr am krächzenden Ton überdehnter Stimmbänder.

Viertens: Die Einsicht, mein Fernseher ist technisch hinterher. Beim Elfmeterstechen tobte der Jubel aus den Nachbarhäusern bereits, als Rafael Borré auf unserem Bildschirm noch gar nicht angelaufen war. Live is live? Von wegen.

Und schließlich fünftens: Ein Segen, dass die Stadt Frankfurt nach dem Halbfinale gegen West Ham umgehend alle Hochzeiten im Römer am 19. Mai absagte. Nicht auszudenken, wie weinende Bräutigame und Bräute am Liebfrauenberg hätten getröstet werden müssen, weil es nachmittags keine Chance mehr gab, sich durch die Menge zum Standesamt vorzukämpfen. Die Eintracht hat übrigens reagiert und will denen, deren Hochzeit vertagt werden musste, nun Tickets für Spiele in der nächsten Saison schenken.

Vertraulicher Tipp unter Freunden: Falls Sie vorhaben, sich zu vermählen, wählen Sie doch den 11. Juni 2023. Denn da die Eintracht – wer sollte sie jetzt noch stoppen? – ja absehbar 2023 die Champions League gewinnt, wird man auch in zwölf Monaten die Verschiebung von Hochzeiten anordnen müssen. Und dann stehen die Chancen gut, dass die Eintracht die „Entschädigung“ erhöht. Statt Eintrittskarten dürften dann mindestens Flitterwochen im Waldstadion drin sein.

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