Präsidentschaftswahlen

Frankreichs Heraus­­forderungen

Auch wenn Frankreich derzeit auf den ersten Blick wirtschaftlich gut dasteht, erwarten den Sieger der Präsidentschaftswahlen eine Menge Herausforderungen. Dennoch spielen Wirtschaftsthemen im Wahlkampf bisher kaum eine Rolle.

Frankreichs Heraus­­forderungen

Das Wirtschaftswachstum ist mit 7% im letzten Jahr so gut wie seit 1969 nicht ausgefallen, die Zahl der Arbeitslosen seit 2017 um 387000 zurückgegangen und die Arbeitslosenquote von 8,6% auf 7,9% im dritten Quartal 2021 gesunken, die Übersee-Départements nicht mitgerechnet. Und trotz der Coronakrise hat sich seit dem Amtsantritt von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron auch das Lebensniveau der meisten Haushalte verbessert, mit Ausnahme der 5% ärmsten. Wirtschaftlich gesehen steht Frankreich also auf den ersten Blick besser da als vor fünf Jahren.

Dennoch erwarten die zweitgrößte Volkswirtschaft der Eurozone große Herausforderungen, die der Gewinner der Präsidentschaftswahlen am 10. und 24. April in Angriff nehmen muss. So ist die Staatsverschuldung auf zuletzt 116,3% des Bruttoinlandsprodukts (BIP) geklettert und das Handelsbilanzdefizit im November kumuliert auf zwölf Monate auf 77,6 Mrd. Euro gestiegen. Frankreich muss zudem massiv investieren, wenn es seine Wirtschaft klimafreundlicher gestalten, seine Industrie modernisieren und künftig weniger abhängig von seinen in die Jahre gekommenen Atomkraftwerken sein will. Zwar hat Macron zumindest zu Beginn seiner Amtszeit bewiesen, dass Frankreich reformierbar ist, doch das von ihm angestoßene Reformprogramm ist noch nicht vollendet. Vor allem die Rentenreform, die nach Protesten und dem Ausbruch der Pandemie auf Eis gelegt wurde, könnte helfen, die Staatsausgaben zu senken und das Defizit einzudämmen.

Trotz all dieser Herausforderungen spielen Wirtschaftsthemen im Präsidentschaftswahlkampf jedoch bisher so gut wie keine Rolle, sieht man einmal von den üblichen Versprechen wie der Erhöhung des Mindestlohns ab. Das liegt zum einen an der Pandemie und ihren Folgen, die in den Medien nach wie vor die beherrschenden Themen sind. Zum anderen liegt dies auch an den drei extremen Kandidaten Marine Le Pen, Éric Zemmour und Jean-Luc Mélenchon, die in Umfragen relativ weit vorne liegen. Um ihnen Stimmen abnehmen zu können, fühlen sich andere Kandidaten verpflichtet, vor allem zu den Lieblingsthemen der drei Stellung zu nehmen: Sicherheit, Einwanderung, nationale Identität und Impffrage. Es ist vor allem die Kandidatur des rechtsextremen Überraschungskandidaten Zemmour, die die Themenschwerpunkte nach rechts verschoben hat.

Nur wenige Monate nach der Wahl Donald Trumps in den USA und dem Brexit-Votum galten die französischen Präsidentschaftswahlen 2017 mit Macron und Le Pen in der zweiten Runde als wichtiger Test, ob die republikanischen Werte den populistischen Strömungen standhalten würden können. Angesichts der Umfragen, in denen Macron nun seit Monaten konstant vorne liegt, wiegen sich viele Beobachter in dem Glauben, diesmal sei die Lage weniger ernst. Das jedoch wäre ein Trugschluss. Denn bis zur ersten Wahlrunde am 10. April kann noch eine Menge passieren, wie ein Blick auf die letzten Präsidentschaftswahlen zeigt, die nicht von den ursprünglichen Favoriten, sondern vom Außenseiter Macron gewonnen wurden. Dieser kann jedoch inzwischen nicht mehr auf den Neuigkeitsfaktor bauen, weshalb er und Le Pen diesmal in Umfragen dichter bei­einanderliegen.

Zudem sorgt die Kandidatur des bereits mehrfach für Volksverhetzung verklagten Zemmour dafür, dass Le Pen geradezu moderat wirkt – zumal sie selber inzwischen Abstand von Forderungen nach dem Austritt aus der EU und dem Euro genommen hat. Damit wird sie in den Augen vieler konservativer Wähler salonfähig. Dennoch bleibt das wirkliche Potenzial Zemmours, der auf die Unterstützung der Medien von Vincent Bolloré bauen kann, eine der großen Unbekannten dieser Wahlen. So radikal er in Aussagen zu Themen wie Immigration und der Rolle des Islam auch ist, ähnelt sein wirtschaftspolitisches Programm doch immer mehr dem der Republikaner. Damit steigt die Gefahr, dass Wähler aus dem rechten Lager der Republikaner ihm und nicht der konservativen Kandidatin Valérie Pécresse ihre Stimme geben.

Eine weitere Gefahr besteht darin, dass der durch die Pandemie ausgelöste Frust und der Vorsprung Macrons in den Meinungsumfragen dazu führen könnten, dass viele Wähler den Urnen im ersten Wahlgang fernbleiben. Bei den Parlamentswahlen am 12. und 19. Juni droht die Wahlbeteiligung noch niedriger auszufallen. Auch deshalb sind die Präsidentschaftswahlen ein bedeutsamer Test für Deutschlands wichtigsten Partner.

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