Tokio

Freudlose Sommerspiele

Die Olympischen Spiele werden dieses Jahr ein einziges Regel-Dickicht. Für Zuschauer und Sportler bedeutet das, viel Widersprüchliches zu akzeptieren.

Freudlose Sommerspiele

Als erste ausländische Olympioniken sind die 23 Spielerinnen des australischen Softball-Teams in Tokio eingetroffen. Daraus machten die hiesigen Medien eine große Geschichte, da viele Japaner seit Monaten damit hadern, dass in ihrem Land mitten in einer Pandemie das größte Sportereignis der Welt stattfinden soll. Das Alptraum-Szenario beschrieb ein Ärztesprecher vergangene Woche mit dem Wort „Olympia-Virus“ – ein neues Coronavirus, das bei der Durchmischung von 11000 Sportlern und 70000 Betreuern, Funktionären und Journalisten aus aller Welt entstehen könnte.

Die Olympia-Veranstalter versuchen die Ängste der Japaner mit dem Versprechen zu dämpfen, dass die Spiele in einer „Blase“ stattfinden würden, also isoliert von der lokalen Umgebung. Allen Teilnehmern ist jeder Kontakt zur einheimischen Bevölkerung verboten, auch touristische Ausflüge sind den Ausländern untersagt.

Die harschen Regeln zeigen sich be­reits beim Trainingslager der australischen Softball-Spielerinnen. Alle Teammitglieder inklusive der fünf Betreuer müssen sich täglich auf das Coronavirus testen lassen, obwohl sie vollständig geimpft sind. Die Sportlerinnen dürfen sich nur zwischen dem Stockwerk ihrer Hotelunterkunft und den Trainingsanlagen hin- und herbewegen.

Das Team wird eine Woche vor der Eröffnungsfeier am 23. Juli ins Olympische Dorf auf einer Insel in der Bucht von Tokio umziehen, wo die Ansteckung mit Covid-19 ebenfalls durch strenge Vorschriften verhindert werden soll. Im Wesentlichen werden die Sportler auch dort ganz unter sich bleiben und müssen das Land nach Abschluss ihrer Wettkämpfe binnen 48 Stunden verlassen.

Für potenzielle Zuschauer zeichnen sich genauso freudlose Sommerspiele ab. Noch ist die offizielle Entscheidung nicht gefallen, ob überhaupt Besucher in die Sportstätten dürfen, aber die Wahrscheinlichkeit gilt als hoch. In diesem Fall brauchen die Zuschauer eine komplette Impfung oder einen aktuellen negativen PCR-Test. Sie müssen eine Maske tragen, Abstand einhalten und dürfen weder anfeuern noch jubeln.

Im Aufstellen solcher „Play Books“ mit Regeln für Sportler, Funktionäre und Medienleute haben sich die Veranstalter bereits als potenzielle Olympia-Sieger entpuppt. Aber es bleiben seltsame Grauzonen, die für Irritationen sorgen. Zum Beispiel herrscht im Athletendorf kein Alkoholverbot, während japanischen Kneipen und Restaurant wegen des anhaltenden Pandemie-Notstandes der Ausschank von berauschenden Getränken untersagt ist.

Noch widersprüchlicher er­scheint Beobachtern, dass wie ursprünglich geplant insgesamt 160000 kostenlose Kondome an die 11000 Athleten verteilt werden sollen. Die vier Hersteller beleben diese Tradition, die seit den Sommerspielen 1988 in Seoul besteht, mit Verhütungsgummis, die beim Überziehen ein farbiges Bild im japanischen Holzschnittstil des Mittelalters enthüllen.

Es gebe keinen Ort mit mehr Testosteron als das Olympische Dorf, sagte einst der australische Olympia-Sieger Russell Mark. Der US-Schwimmer Ryan Lochte behauptete, 75% der Olympioniken hätten während der Spiele Sex. Dazu würde das Motto der diesjährigen Spiele „United by Emotion“ passen. Doch – oh weh! In Tokio sollen die Sportler stets zwei Meter Abstand voneinander halten, was den für Liebesspiele notwendigen Körperkontakt nicht gerade erleichtert. Das Dilemma sorgte in den sozialen Medien für viel Spott. Also haben sich die Veranstalter mit der Empfehlung an die Athleten herausgewunden, die Kondome doch bitte unausgepackt als Souvenir mitzunehmen.

Auch ihr Versuch, olympische Begeisterung durch zwölf Public-Viewing-Plätze in Tokio zu wecken, ist nach hinten losgegangen. Für bis zu 35000 Menschen vor TV-Leinwänden wollte die Hauptstadt viele Bäume im zentralen Yoyogi-Park beschneiden und teilweise fällen. Ausgerechnet diese Bäume hatten Athleten bei den Sommerspielen 1964 gepflanzt und damit eine grüne Lunge im Betondschungel geschaffen. Der Aufschrei war so groß, dass Gouverneurin Yuriko Koike das Projekt am Montag kleinlaut zurückstellte. Nun soll auf der geschaffenen Fläche zunächst ein Impfzentrum entstehen.