Paris

Gemeinsame Mittagessen statt Apéro

Coronakrise und Sanktionen der USA belasten die Wein- und Spirituosenexporteure Frankreichs. Und auch in ihrem Heimatland trifft man sich inzwischen lieber zum Mittagessen, als auf ein Feierabendgetränk.

Gemeinsame Mittagessen statt Apéro

Der Cocktail habe einen bitteren Nachgeschmack, urteilt César Giron. Der Vorsitzende des Verbandes der französischen Wein- und Spirituosenexporteure FEVS (Fédération des Exportateurs de Vins et Spiritueux) spricht jedoch nicht von einem neuen Mixgetränk, sondern von der speziellen Mischung, die seiner Branche im letzten Jahr das Geschäft verhagelte. Denn sie musste nicht nur die Folgen der Corona-Pandemie verkraften, sondern auch die Strafzölle in Höhe von 25%, die die USA im Streit über Subventionen für den Flugzeugbauer Airbus im Oktober 2019 auf europäische Produkte wie eben französischen Wein verhängten.

Das ist für Frankreich umso schmerzhafter, als die Lebensmittelbranche zusammen mit der Luftfahrt-, der Chemie- und der Kosmetikindustrie zu den vier Exportzweigen des Landes gehört, die die größten Handelsüberschüsse erzielen. Das hat sie vor allem den Weinen und Spirituosen zu verdanken. Die haben letztes Jahr jedoch neben den amerikanischen Strafzöllen auch zu spüren bekommen, dass wegen Covid-19 in vielen Ländern wichtige Vertriebskanäle wie Restaurants, Bars, Hotels und Duty-free-Geschäfte schließen mussten. In der Folge sind die französischen Wein- und Spirituosenexporte um 13,9% auf 12,1 Mrd. Euro eingebrochen. Während sich die Weinexporte um 11,3% auf 8,2 Mrd. Euro verringerten, gaben die Spirituosenexporte um 19,4% auf 3,8 Mrd. Euro nach. Das wiederum führte dazu, dass der Handelsüberschuss der Lebensmittelindustrie nach Angaben des Landwirtschaftsministeriums mit 6,3 Mrd. Euro 1,4 Mrd. Euro niedriger ausfiel als 2019.

Zweifelsohne sei die Situation in den USA am beunruhigendsten, meint FEVS-Chef Giron, der bei Pernod Ricard die Sparte Martell Mumm Perrier-Jouët leitet. Die Sanktionen, unter denen die Branche nun schon seit 16 Monaten leide, und die Ausweitung der Strafzölle Mitte Januar auf Spirituosen und Fasswein gefährdeten die Präsenz französischer Tropfen auf dem wichtigsten Markt weltweit. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen müsse das Problem so schnell wie möglich direkt mit US-Präsident Joe Biden regeln, fordert er. Die Wein- und Spirituosenexporteure hoffen aber auch auf Unterstützung der Regierung. Premierminister Jean Castex sollte Giron diesen Montag zu Gesprächen empfangen.

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Auch in ihrer Heimat leidet die Wein- und Spirituosenbranche. Wann Restaurants und Bars wieder öffnen dürfen, steht noch in den Sternen. Und seit Mitte Januar die pünktlich zum Jahreswechsel eingeführte Sperrstunde von 20 Uhr auf 18 Uhr vorgezogen wurde, ist es auch nicht mehr möglich, Freunde und Bekannte nach der Arbeit noch kurz zu einem Aperitif zu besuchen. Es sei denn, man übernachtet gleich bei ihnen, um keine Strafe zu riskieren. Seit Inkrafttreten der Sperrstunde finden Treffen vor allem mittags in einer Privatwohnung statt, um gemeinsam einen Happen zu essen.

Verboten ist das nicht, auch wenn die Regierung empfiehlt, dass an privaten Treffen nicht mehr als sechs Personen teilnehmen sollten. In unternehmenseigenen Kantinen dürfen dagegen nicht mehr als vier Personen gemeinsam an einem Tisch beim Essen zusammensitzen. Seit Sonntag dürfen Arbeitnehmer aber auch wieder direkt an ihrem Arbeitsplatz vor dem Computer essen. Das war seit 2008 laut Arbeitsrecht verboten, doch wegen der Pandemie wurde dieses Verbot nun wieder aufgehoben. Die Erhöhung des vorgeschriebenen Mindestabstands zwischen Personen von einem auf zwei Meter habe die Lockerung erforderlich gemacht, um die Kantinen zu entlasten, heißt es in Paris.

Einige Franzosen weiten das gemeinsame Mittagessen inzwischen am Wochenende in feuchtfröhliche Treffen bis zur Sperrstunde aus. „Drunch“, nennt sich dieser neue Trend in Anlehnung an „drunken brunch“. Erst eine strenge Ausgangssperre im Frühjahr, dann eine zweite nicht ganz so strenge von Ende Oktober bis Mitte Dezember und jetzt die Sperrstunde seien einfach zu viel, argumentieren sie. 11% der Franzosen haben laut Angaben des Gesundheitsamtes seit der ersten Ausgangssperre ihren Alkoholkonsum erhöht.