Financial Reporting

Gerangel um die Nachhaltigkeits-Berichterstattung

Die Zweigleisigkeit eines künftigen EU- und ISSB-Rahmenwerks zur Nachhaltig­keitsberichterstattung ist insgesamt kritisch zu würdigen.

Gerangel um die Nachhaltigkeits-Berichterstattung

Die Finanzberichterstattung bei börsennotierten Konzernen verfügt seit vielen Jahren mit den International Financial Reporting Standards (IFRS) über ein globales Rahmenwerk. Hierfür ist das International Accounting Standards Board (IASB) zuständig. Auf europäischer Ebene werden die neuen IFRS durch ein sogenanntes Endorsement-Verfahren in Gemeinschaftsrecht übernommen.

Bei der Nachhaltigkeitsberichterstattung ist hingegen bislang keine Harmonisierung gegeben. Es haben sich in den vergangenen Jahren unterschiedliche Rahmenwerke und Institutionen mit prägnanten Abkürzungen herausgebildet (zum Beispiel GRI, SASB, CDP, TCFD, IIRC, DNK).

IFRS plant globalen Rahmen

Die IFRS Foundation plant in den kommenden Monaten, dem IASB ein International Sustainability Standards Board (ISSB) an die Seite zu stellen, das ein globales Rahmenwerk für die Nachhaltigkeitsberichterstattung ableiten soll. Der künftige International Sustainability Reporting Standard soll sich allerdings (zunächst) nur auf Klimaaspekte beziehen („climate first“) und voraussichtlich nur die Auswirkungen des Klimas auf die wirtschaftliche Lage des Unternehmens („financial materiality“) adressieren.

Wie sieht die Situation auf EU-Ebene aus? Bislang müssen bestimmte Unternehmen des öffentlichen Interesses nach der sogenannten CSR-Richtlinie der EU aus dem Jahre 2014 lediglich eine nichtfinanzielle Erklärung erstellen, wobei kein Rahmenwerk bislang vorgeschrieben ist. Die EU-Kommission hatte schnell eingesehen, dass die damalige CSR-Richtlinie als politischer Kompromiss häufig kein Umdenken auf Seiten der Unternehmen bewirkt hatte („Greenwashing“).

Vor dem Hintergrund des ambitionierten EU-Green-Deals und der Sustainable-Finance-Regulierungen in jüngerer Zeit hat die EU-Kommission am 21. April 2021 daher einen Richtlinienentwurf zur Nachhaltigkeitsberichterstattung veröffentlicht. Die EU-Kommission plant unter anderem die Implementierung eines eigenständigen Rahmenwerks für die künftige Nachhaltigkeitsberichterstattung bis Oktober 2022 als delegierte Rechtsakte.

In Abgrenzung zur Vorgehensweise der IASB Foundation erfolgt keine Begrenzung auf Klimaaspekte, sondern eine Orientierung an einem breiten Environmental-, So­cial- & Governance(ESG)-Konzept. Zudem soll nicht nur die finanzielle Wesentlichkeit von ESG-Belangen als Outside-In-Perspektive, sondern auch die sogenannte „impact materiality“ als Inside-Out-Perspektive berücksichtigt werden. Im Rahmen einer Monetarisierung von externen Sozial- und Umwelteffekten der eigenen Geschäftstätigkeit geht das Vorhaben der EU damit viel weiter als beim künftigen ISSB. Insofern würden künftig zwei neue zentrale Standards für die Nachhaltigkeitsberichterstattung existieren mit unterschiedlicher Ausrichtung.

Sicht der Eigenkapitalgeber

Die Reduktion des geplanten globalen CSR-Standards auf Klimaaspekte und der Fokus auf die Auswirkungen von Klima auf die wirtschaftliche Lage des Unternehmens ist aus Sicht der IASB Foundation sachlogisch und passgenau, da die IFRS ihrerseits eine kapitalmarkt- und investororientierte Finanzberichterstattung repräsentieren. Insofern soll der künftige Standard für die Nachhaltigkeitsberichterstattung vorrangig die Informa­tionen adressieren, welche aus Sicht der Eigenkapitalgeber zur Einschätzung des Investitionsrisikos notwendig sind.

Diese Verengung aus Praktikabilitätsgründen wurde im Schrifttum in den vergangenen Monaten teilweise heftig kritisiert. So bestünde das Risiko, dass die Informationsinteressen weiterer Stakeholder-Gruppen im Rahmen des künftigen Standardsettings ausgeblendet werden. Zudem sei die Entscheidungsnützlichkeit des Nachhaltigkeitsberichts fraglich, sofern kein „Impact Assessment“ der umwelt- und sozialbezogenen Externalitäten im Unternehmen erfolgt. Eine derartige unternehmerische Wertschöpfungsrechnung für die Gesellschaft („value to society“) steht derzeit unter anderem im Fokus des Value-Balancing-Alliance-Projekts, an dem BASF eine führende Rolle innehat.

Die Zweigleisigkeit eines künftigen EU- und ISSB-Rahmenwerks zur Nachhaltigkeitsberichterstattung ist insgesamt kritisch zu würdigen. Die Ableitung eines globalen Standards und eines anschließenden EU-En­dorse­ments analog zu den IFRS wäre die Ideallösung. Die EU-Kommission sollte ihren Einfluss geltend machen und die IASB Foundation davon überzeugen, dem „Full ESG“-Konzept zu folgen und die „doppelte Wesentlichkeit“ in der Nachhaltigkeitsberichterstattung zu adressieren.

Ein interessanter Kompromissvorschlag stammt von der International Federation of Accountants (IFAC). Im Rahmen eines „Blockmodells“ könnte sich das ISSB zwar künftig auf die Integration von ESG-Informationen in der Finanzberichterstattung konzentrieren.

Allerdings bedürfte es einer engen Zusammenarbeit mit anderen Institutionen (zum Beispiel GRI oder EU-Kommission), welche das gesellschaftsrelevante „Impact Accounting“ beziehungsweise „Accounting for Externalities“ vorantreiben und einen spezifischen Standard ab­leiten.

Insofern könnte auch über eine Arbeitsteilung zwischen EU-Kommission (impact materiality) und ISSB (financial materiality) nachgedacht werden. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass der neue Nachhaltigkeitsbericht nach der geplanten EU-Richtlinie eng mit der Taxonomie-Verordnung der Europäischen Union und der Offenlegungsverordnung für Finanzmarktteilnehmer verzahnt werden soll. Bleibt insofern die Harmonisierung der Nachhaltigkeitsberichterstattung ein unerfülltes Ziel?

Prof. Dr. Patrick Velte lehrt Accounting, Auditing & Corporate Governance an der Leuphana Universität Lüneburg.

In dieser Rubrik veröffentlichen wir Kommentare von führenden Vertretern aus der Wirtschafts- und Finanzwelt, aus Politik und Wissenschaft.