Getrennte Fahrbahnen
Alles wird fein säuberlich getrennt: Auch die Sammlung historischer Lkw und Busse von Mercedes-Benz bekommt ein neues Zuhause. Künftig werden die Exponate – das älteste ist ein Daimler-Motorlastwagen aus dem Jahr 1898 – an den Standorten der Daimler Truck AG aufbewahrt. Wenn schon, denn schon: Daimler vollzieht die Trennung von Pkw- und Nutzfahrzeuggeschäft konsequent bis ins Detail.
Die im Februar dieses Jahres bekanntgegebene Abspaltung ist ein Ausrufezeichen von Konzernchef Ola Källenius. Und die Börse verteilt für die Strategie des Schweden reichlich Vorschusslorbeer. Zugute kommt Daimler, dass eine klare Ausrichtung von Konzernen mit Hilfe von Spin-offs im Trend liegt: General Electric ist das jüngste prominente Beispiel; der Konkurrent Siemens war vorangegangen. Auch Toshiba steht auf dieser Liste. Die Vorstände machen eine Aufspaltung lieber selbst, ehe aktivistische Aktionäre den Druck in diese Richtung verstärken.
Freilich ist ein gewisses Risiko dabei: Kleinere Happen lassen sich auf dem M&A-Markt leichter schlucken. Wenn wie im Fall von Daimler ein großer Ankeraktionär fehlt, hilft dagegen am wirksamsten ein hoher Preis. Der wiederum hängt maßgeblich vom wirtschaftlichen Erfolg ab, für den kleinere, wendige Einheiten meistens bessere Voraussetzungen bieten. Hinzu kommt, dass gerade jetzt im Umbruch der Fahrzeugindustrie zum CO2-freien Antrieb und zum vernetzten und autonomen Fahren kurze Entscheidungswege und rasche, klare Beschlüsse besonders wichtig sind – auch eine eindeutige Zuordnung der Finanzmittel. Mehr Eigenverantwortung setzt im Management und zumindest in einem Teil der gesamten Belegschaft zusätzliche Kräfte frei, im Fall von Daimler Truck auch höhere Ambitionen.
Abzulesen ist der neu angefachte Ehrgeiz an den jüngst präsentierten Zielen zur Umsatzrendite für das Jahr 2025. Bis dahin soll es in allen fünf Segmenten mit der Profitabilität aufwärtsgehen. Am größten ist die Lücke im Busgeschäft, das für die ersten neun Monate dieses Jahres einen Verlust ausweist. Allerdings hat es diese Sparte in der Pandemie besonders schwer, da die Nachfrage nach Reisebussen auf nahezu null geschrumpft ist. Gemessen am Umsatz ist das Lkw-Geschäft in Europa und Brasilien mit der Marke Mercedes-Benz Trucks in diesem Jahr das größte Segment, knapp vor der Region Nordamerika. Beide sind somit ganz wesentlich für den wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens. Während die Profitabilität in Nordamerika mit Marken wie Freightliner und Western Star mit den Branchenbesten Volvo und Paccar mithält, ist der Abstand in Europa und Brasilien, wo Volvo und Scania an der Spitze stehen, erheblich. Immerhin hat Daimler hier nach einem negativen Ergebnis im vergangenen Jahr mit einer bereinigten operativen Marge von 4,5 % in den ersten neun Monaten Boden gutgemacht.
Die vor zwei Jahren beschlossenen Anstrengungen zur Kostensenkung, auch mit einem Abbau von Arbeitsplätzen, zahlen sich langsam aus. Dass Mercedes-Benz Trucks die Zahl der Lkw-Basismodelle von 140 auf mittlerweile 100 verringert hat, ist ein Anzeichen dafür, dass die Effizienz längere Zeit vernachlässigt worden war. Mit der von Scania abgeworbenen Karin Rådström, die im Vorstand für Europa und Brasilien verantwortlich ist, weht ein frischer und wohl auch etwas rauerer Wind.
Als eigenständiges börsennotiertes Unternehmen, das zudem im nächsten Frühjahr voraussichtlich in den Dax aufgenommen wird, kann sich Daimler Truck nicht mehr hinter den Geschäftszahlen von Mercedes-Benz Cars Vans verstecken, die am Umsatz gemessen fast dreimal so groß sind. Die wesentlich höhere Aufmerksamkeit steigert den Erfolgsdruck auf den Vorstand enorm. Dass die Ergebnisentwicklung des Lkw-Geschäfts in den drei großen Regionen sowie der Bussparte und der Finanzdienstleistungen Quartal für Quartal getrennt dargestellt wird, offenbart Schwächen eindeutig. Für die Aktionäre ist diese Transparenz ein Gewinn – ebenso der von der Börse goutierte Abschied vom Konglomerat.
Die Abspaltung findet in einer Zeit statt, in der der Chipmangel die hohe Nachfrage nach Pkw und Lkw empfindlich bremst. Auf der anderen Seite sorgt die Knappheit der Komponenten und damit der Fahrzeuge für stabile oder gar steigende Preise. Die große Bewährungsprobe folgt für Mercedes-Benz und Daimler Truck allerdings erst in einem Konjunkturabschwung. Denn von nun an fährt jede Sparte allein in ihrer Spur. Ausgleichende Effekte innerhalb des Daimler-Konzerns sind passé.