Unterm StrichLeitzinsen

Zinshammer gegen die Gierflation

Die Gierflation aller gesellschaftlichen Interessengruppen und eine zu lockere Fiskalpolitik erschweren eine erfolgreichere Inflationsbekämpfung der EZB.

Zinshammer gegen die Gierflation

Zinshammer gegen die Gierflation

Von Claus Döring

Die Gierflation aller gesellschaftlichen Interessengruppen und eine zu lockere Fiskalpolitik erschweren eine erfolgreichere Inflationsbekämpfung der EZB.

Der geldpolitische Kurs der Notenbanken wird immer mehr zum Politikum. Die Zeiten der Insiderdebatten von Ökonomen über die richtige Interpretation von Erzeugerpreisentwicklung, Geldmengenexpansion, Teuerungsraten oder Kerninflation und deren Konsequenzen sind Vergangenheit. Wenn am kommenden Donnerstag  die Aktivisten von Attac vor der EZB in Frankfurt den „Zinshammer“ anprangern, mit dem die Notenbank angeblich nicht nur die Wirtschaft abwürgt, sondern auch Investitionen in die „sozial-ökologische Transformation“ behindert, sollte sich das EZB-Direktorium mit Präsidentin Christine Lagarde an der Spitze die Begründung für die erwartete Leitzinserhöhung um weitere 25 Basispunkte gut überlegen.

Angesichts einer Kernrate der Inflation von zuletzt 5,5% in der Eurozone und immer noch darunter liegenden Leitzinsen sollte das nicht allzu schwerfallen. Allerdings sollte sie sich davor hüten, beim Schwarzer-Peter-Spiel mitzumachen, zu dem Gewerkschaftsfunktionäre, ihnen nahestehende Ökonomen sowie die politische Linke seit dem Frühjahr immer wieder einladen. Anfang Juni ist die EZB-Präsidentin dieser Versuchung erlegen, als sie vor dem Wirtschafts- und Währungsausschuss des Europaparlaments die faktisch falsche These von der „Gierflation“ mit ihren Ausführungen stärkte, wonach Unternehmen ihre Preise über die Kostensteigerungen hinaus erhöht hätten und die Gewinnmaximierung der Konzerne eine Mitschuld an der hohen Inflation habe.

Für Lektionen über Angebot und Nachfrage, zur Funktion von Preisen und Gewinnen in einer Marktwirtschaft ist hier kein Platz, deshalb möge ein Zitat des Ifo-Präsidenten Clemens Fuest genügen: „Den Ausdruck ‚Gierflation‘ halte ich für Unfug.“ Ausgerechnet eine Ifo-Studie aus dem vergangenen Jahr über „Gewinninflation und Inflationsgewinner“ hatte nach den USA auch hierzulande der Diskussion über „Greedflation“ beziehungsweise „Gierflation“ Nahrung gegeben. Dass am Beginn einer inflationären Phase in der Industrie häufig steigende Margen zu beobachten sind – wie 2021 und 2022 –, ist allerdings normal und unter anderem Folge des Bilanzierungsgrundsatzes „First in, first out“. Inzwischen sind in Deutschland industrieweit die Rohertragsmargen gehörig unter Druck geraten und auch die Erzeugerpreise, die im vorigen Jahr noch kräftig in die Höhe gingen, steigen kaum mehr. Im Übrigen haben empirische Untersuchungen in den USA ergeben, dass es in den zurückliegenden fünf Jahren zwischen Erzeugerpreisentwicklung und Gewinnmargen der Unternehmen keine Korrelation gibt.

Dass in einem Umfeld steigender Preise auch immer einige Unternehmen Preiserhöhungen durchsetzen können, die über ihre Kostenzuwächse hinausgehen, ist weder verwerflich noch in der Verantwortung der Notenbank. 2022 waren vor allem landwirtschaftliche Erzeugnisse und der Bau die Preistreiber, wobei der Bauboom seine Ursache ja in der jahrelangen Niedrigzinspolitik der Notenbanken hatte. In einer funktionierenden Marktwirtschaft sorgt der Wettbewerb dafür, dass es sich bei den Inflationsgewinnen um singuläre und vorübergehende Phänomene handelt. Allerdings gibt es strukturelle Veränderungen, die bleiben. So hat mit der Re-Globalisierung und dem nationalen Fokus auf Lieferketten politisch gewollt der Wettbewerb nachgelassen. Darüber hinaus konterkariert die Finanzpolitik mit Wiederaufbaufonds, Ausgabenprogrammen für Energiewende und sozialen Ausgleich sowie „Sondervermögen“ für Verteidigung den restriktiveren geldpolitischen Kurs. Christine Lagarde sollte sich deshalb nicht scheuen, auf die inflationstreibenden Effekte der Fiskalpolitik in der Eurozone zu verweisen. Unterm Strich ist es nämlich die „Gier“ der unterschiedlichen gesellschaftlichen Interessengruppen und der Unwille der Politik, sie zu bändigen, die eine erfolgreichere Inflationsbekämpfung erschweren und die EZB zwingen, noch länger als eigentlich nötig den Zinshammer zu schwingen.