London

Glasto ist wieder da!

Zwei Jahre war pandemiebedingt Pause. Dieses Jahr dürfen sich die gut betuchten Fans des Glastonbury-Festivals wieder darauf freuen, sich bei strömendem Regen im Schlamm von Somerset zu wälzen.

Glasto ist wieder da!

Glastonbury ist wieder da! Zwei Jahre lang mussten die Fans des Woodstock nachempfundenen Musikfestivals wegen der Pandemie darauf verzichten, sich bei strömendem Regen im Schlamm von Somerset zu wälzen. Nun ist es wieder soweit. Manche dürften noch erschöpft von der Sonnwendfeier in Stonehenge sein. Viele Möchtegerndruiden und Keltenkult-Anhänger können sich die astronomischen Eintrittspreise allerdings nicht leisten, die für „Glasto“ aufgerufen werden. Mittlerweile sind es 280 Pfund pro Nase plus 5 Pfund Buchungsgebühr. Zudem muss man sich lange im Voraus zur Teilnahme entscheiden. Dennoch sind die Tickets alljährlich innerhalb weniger Stunden ausverkauft.

Als das Festival 1970 erstmals stattfand – einen Tag nach dem Tod von Jimi Hendrix – waren 1 500 Menschen gekommen. Für 1 Pfund bekam man nicht nur den Eintritt, sondern auch kostenlos Milch vom Bauernhof des Veranstalters, Michael Eavis. Statt The Kinks spielte am Ende die Glamrock-Band T. Rex. Seitdem hat sich das Festival zum kulturellen Großereignis entwickelt. Von David Bowie über The Cure bis Robbie Williams – alle großen Stars sind dort aufgetreten. Auch im Publikum finden sich meist zahllose Prominente – von Kate Moss über Bradley Cooper bis Idris Elba. Denn es sind längst keine Aussteiger oder Hippies mehr, die dort tagelang hinter einem kaum zu überwindenden Stahlzaun feiern. Es sind vorwiegend Angehörige der urbanen Mittelschicht, deren Elektro-SUVs bei der Anreise die Straßen der ländlichen Region verstopfen. Es sind Leute, die finanziell ausgesorgt haben, sich aber immer noch irgendwie links fühlen, wie der 1947 geborene ehemalige Channel-4-Journalist Jon Snow, der dort 2017 in gesegnetem Alter mit Studenten „Fuck the Tories!“ grölte. Mehr als 200 000 Teilnehmer werden erwartet.

Wegen des Eisenbahnerstreiks, der das Land diese Woche weitgehend lahmgelegt hat, wurden über das Internet Fahrgemeinschaften organisiert. Die Ausgaben, die Besucher auf dem Festivalgelände und darum herum tätigen, wurden von einem lokalen Wirtschaftsverband auf 50 Mill. Pfund geschätzt. Anwohner können ihre Anwesen für Tausende Pfund pro Nacht vermieten. Taxiunternehmer haben Hochsaison.

Zu den großen Namen, die in diesem Jahr auftreten, gehören Billie Eilish, Paul McCartney und der US-Rapper Kendrick Lamar. Natürlich gibt es auch Musik aus der Ukraine. Am Programm kann es jedenfalls nicht liegen, dass sich der schwarze Schauspieler Lenny Henry kürzlich über den Mangel an ethnischer Diversität im Publikum mokierte – sehr zum Ärger vieler Glasto-Veteranen, denen Zweifel an ihrer progressiven Geisteshaltung sauer aufstoßen. „Es ist interessant, Glastonbury mitzuverfolgen und keine schwarzen Menschen zu sehen, wenn man auf das Publikum blickt“, sagte Henry der „Radio Times“. „Ich bin immer überrascht vom Mangel an braunen und schwarzen Gesichtern auf Festivals.“ Man sieht sie vor allem auf der Bühne, wo sich Soul-Superstars wie PP Arnold und Gabriels ein Stelldichein geben. Der „Guardian“ legte seinen Lesern 30 Künstler ans Herz, die sie dort auf keinen Fall verpassen sollten, darunter den Drill-Musiker Fumez the Engineer, dessen erster Auftritt als Headliner im Londoner Norden im November vergangenen Jahres von der Polizei aus Angst vor Gewaltausbrüchen 20 Minuten vor Einlass untersagt wurde. In Glastonbury ist damit nicht zu rechnen. Rund um das Festivalgelände finden keine blutigen Auseinandersetzungen um Marktanteile im Drogengeschäft statt, obwohl die Besucher jedes Jahr für einen kräftigen Nachfrageschub sorgen dürften. Die Trap-Beats des Drill-Musikers dienen dort lediglich als dekorative Soundtapete, nicht als Ausdruck real existierender Lebensverhältnisse.

Und allen Lippenbekenntnissen zu Nachhaltigkeit und Klimaschutz zum Trotz lassen die Besucher jedes Mal tonnenweise Müll zurück. Darunter befinden sich auch Tausende von Zelten, deren Bewohner es nicht fertigbringen, sie wieder abzubauen und mitzunehmen. Das hat die Initiative Aid Box Convoy aus Bristol auf den Plan gerufen. Der Spendensammelverein sackt die herrenlosen Zelte ein und stellt sie Zuwanderungswilligen zur Verfügung, die in wilden Camps in Calais und Dünkirchen ausharren.

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