LEITARTIKEL

Governance auf Peking-Art

Die chinesische Regierung ist mit einer neuen Blaupause in Sachen Gehälterregulierung vorstellig geworden. Sie lässt die Spitzenmanager der von der Zentralregierung gesteuerten Staatsunternehmen, darunter auch die chinesischen Großbanken, so etwas...

Governance auf Peking-Art

Die chinesische Regierung ist mit einer neuen Blaupause in Sachen Gehälterregulierung vorstellig geworden. Sie lässt die Spitzenmanager der von der Zentralregierung gesteuerten Staatsunternehmen, darunter auch die chinesischen Großbanken, so etwas wie ein blaues Wunder erleben. Was Peking vorschwebt, läuft auf eine simple Formel hinaus: Demnächst gibt es weniger als die Hälfte. Dem jetzigen Stand der Dinge nach würden die Jahressaläre der Vorstände um bis zu 70 % beschnitten und mit einer Obergrenze von 600 000 Yuan versehen, das sind umgerechnet knapp 100 000 Dollar oder gut 70 000 Euro.Vorstandschefs von Unternehmen wie Petrochina oder Industrial and Commercial Bank of China (ICBC), die in ihrer jeweiligen Branche zu den größten Adressen auf dem Globus gehören, erhielten dann so viel wie ein besserer Büroangestellter in einer westlichen Großstadt. Fragt sich nur, wie dies mit den Bestrebungen der Regierung zusammenpasst, Staatsunternehmen stärker in einen privatwirtschaftlichen Wettbewerb zu überführen, dem Kapitalmarkt näher zu bringen und in einen globalisierten Weltmarkt hinauszuschicken?Um zu verstehen, was Peking da gerade sinnvoller- oder unsinnigerweise ausheckt, muss man ein bisschen um die Ecke denken und sowohl die politische Überformung der staatlichen Unternehmenswirtschaft als auch die landesweiten Einkommensverhältnisse bedenken. Pekings Gehälteroffensive stößt in China auf breiten Beifall. Dies gilt vor allem mit Blick auf Bankmanager als Topverdiener im Kreis chinesischer Staatskonzerne. Die Vorstandschefs der größten vier Banken nahmen im vergangenen Jahr rund 2 Mill. Yuan (240 000 Euro) mit nach Hause und damit etwa das 40-Fache des Durchschnittsgehalts der übrigen Belegschaft, was auch im Weltmaßstab eine üppige Relation ist. Hinzu kommen zahlreiche undurchsichtige Sonderprivilegien, die handfesten geldwerten Vorteilen entsprechen. Dies erzürnt die breite Masse, wenn man die Beiträge in sozialen Medien zum Maßstab nimmt.Entsprechend beklatscht wird, dass diese Privilegien im Einklang mit der landesweiten Antikorruptions- und Frugalitätskampagne im öffentlichen Dienst nun ganz abgeschafft werden sollen. In Verbindung mit der drastischen Gehälterkürzung kann man sich andererseits die Frage stellen, welchen Anreiz das Spitzenmanagement einer chinesischen Großbank oder eines sonstigen Staatsriesen noch bietet, beziehungsweise ob eine gewaltige Talentabwanderung Richtung Privatsektor zu erwarten ist.Im Zweifelsfall nein, denn betroffen ist eine Kaste von Unternehmenslenkern, die sich mit westlichen Spitzenmanagern nicht vergleichen lassen, weil sie politische Funktionäre sind, die von hohen Parteiämtern oder Chefsesseln bei Behörden in die Unternehmensführungen beordert werden. Die Vorstandsmitglieder einer ICBC oder Petrochina kommen nicht aus dem Pool besonders fähiger Mitarbeiter, die sich an die Spitze gearbeitet haben oder von Wettbewerbern abgeworben wurden, sondern sind “Karrierepolitiker”. Als solche müssen sie sich auch mit der neuen Schwarzbrotlinie der Regierung um Präsident Xi Jinping abfinden.Die Gehälteroffensive hat aber noch eine andere Dimension: Sie schafft aller Voraussicht nach völlig neue Freiräume in der nach Parteilogik aufgezogenen Corporate Governance von Staatsunternehmen, die sich mit der beginnenden Öffnung für Reformen des ineffizienten Staatsbetriebswesens verbindet. China ist unter dem Gewand einer populistisch anmutenden Gehälterbeschneidung auf dem besten Wege, neue Strukturen bei Staatsunternehmen zu schaffen, die wesentlich modernere, leistungsorientierte und anreizgerechte Entlohnungsformen ermöglichen.Die neuen Maßnahmen lassen de facto die politisch bestellte Führungsriege von Staatsunternehmen in die Rolle von Aufsichtsräten schlüpfen. Dann würde die operative ExekutivVerantwortung auf Branchentalente übergehen, für die laut Reformagenda neue performanceorientierte Entlohnungsformen geschaffen werden können. Im Gespräch sind sogar Aktienoptionen, bislang ein Tabuthema bei börsennotierten Staatsfirmen. Chinas neuer Corporate-Governance-Ansatz für Staatsunternehmen ist noch nicht in trockenen Tüchern, und die Anpassungen werden Zeit brauchen. Die archaisch wirkende Gehälteroffensive des Staatspräsidenten ist in Wahrheit ein gut versteckter Modernisierungstrip für das Staatsunternehmenswesen, der das Zeug hat, Sozialneid zu dämpfen, zugleich aber neue Marktchancen zu wecken.——–Von Norbert HellmannChina ist mit einer populistisch wirkenden Gehälterbeschneidung auf bestem Wege, neue, leistungsorientiertere Strukturen bei Staatsunternehmen zu schaffen.——-