Genossenschaftsbanken

Gratwanderung

Die Balance zu halten zwischen regionaler Verbundenheit und digitaler Verlockung – das wird die Gratwanderung der Genossen in den nächsten Jahren sein.

Gratwanderung

Bis zuletzt hatten die Kreditgenossen gehofft, dass sich zumindest einige von ihnen bei der alljährlichen Bankwirtschaftlichen Tagung in Berlin in echt sehen können. Leider wird nur ein virtueller Austausch möglich sein an diesem Donnerstag und Freitag – aber immerhin besser als die pandemiebedingt komplette Absage im Vorjahr. Neben Diskussionen untereinander und mit der Politik über Finanzpolitik, digitalen Euro, Zukunftsstrategie oder Nachhaltigkeit findet auch die Mitgliederversammlung statt. Genügend Themen, die es untereinander zu besprechen gilt, gibt es zuhauf: Wie reagieren wir strategisch auf die durch die Pandemie deutlich reduzierte Filialnutzung, wie gehen wir mit den Niedrigzinsen um, wie mit der Regulierung? Wo stehen wir heute, wo wollen wir hin?

Hierzu lässt sich festhalten: Die Pandemie hat der genossenschaftlichen Finanzgruppe nichts Gravierendes anhaben können. Selbst wenn die staatlichen Hilfsprogramme auslaufen, wird die Zunahme bei den ausfallgefährdeten Krediten angesichts einer komfortablen Eigenkapitalsituation von 116 Mrd. Euro zu bewältigen sein. Zuletzt war das Ausmaß der faulen Kredite mit 1,5% der ausgereichten Darlehen ohnehin sehr niedrig. Chronisch nagen aber Negativzins, Regulierungskosten und IT-Aufwendungen für den digitalen Wandel seit Jahren am Gewinn der Kreditgenossen. So ging das Ergebnis vor Steuern der Primärbanken 2020 binnen Jahresfrist um bald ein Fünftel auf 6,3 Mrd. Euro zurück. Ein Trost ist der längerfristige Vergleich: 2010 kamen nur 4,3 Mrd. Euro zusammen.

Im Prinzip kristallisieren sich zwei Wege heraus, mit denen die Volks- und Raiffeisen-, Sparda- und PSD Banken auf das seit Jahren herausfordernde Umfeld reagieren: Entweder Unterschlupf finden bei einem stärker aufgestellten Institut oder mit Anpassung des Geschäftsmodells durch Digitalisierung, zusätzliche Gebühren oder neue Angebote einerseits die Kosten drücken und andererseits die Erträge ausbauen. Von den vor zehn Jahren existierenden 1138 Instituten sind heuer nur noch 814 übrig, in diesem Jahr werden weitere 40 Zusammenschlüsse erwartet. Neben klassischen Fusionen gibt es aber auch die niederschwelligere Form der Kooperation oder Auslagerung, etwa im Zahlungsverkehr, beim Meldeaufwand oder bei der Vermögensverwaltung. Wenig Berührungsängste zeigt dabei die fusionsfreudige Frankfurter Volksbank, die nunmehr mehrere Standorte zusammen mit der Taunus Sparkasse betreibt. Auf diese Weise können die Filialen, die von den Kunden weniger frequentiert werden, angesichts zunehmender digitaler Optionen zumindest teilweise erhalten bleiben. Denn die Ortsverbundenheit ist eines der zentralen Versprechen der Genossenschaftsbanken. Was sie dagegen nicht mehr versprechen, ist, dass die Negativzinsen der EZB nicht an die Privatkunden weitergereicht werden. Hier geht es um immer niedrigere Grenzen, ab wann „Verwahrentgelte“ er­hoben werden, und auch schon lange nicht mehr nur um Neukunden. Betriebswirtschaftlich betrachtet geben die Banken dabei ihre Kosten weiter – einerseits. Andererseits will auch die Dividende erwirtschaftet werden. Dass diese im vergangenen Jahr wegen der Aufsicht teilweise ausfiel, macht das Werben um Mitglieder nicht gerade leichter. 2020 schrumpfte deren Zahl erstmals auf 18,4 Millionen.

Neben neuen Gebühren für Einlagen, Kontoführung usw. arbeiten viele Adressen auch an überraschenden Erweiterungen des Geschäftsmodells, die kaum etwas oder gar nichts mit einer Bank zu tun haben. Da stellt die Volksbank Mittelhessen Automaten mit Lebensmitteln regionaler Erzeuger auf, da werden die Immobilienfinanzierungen anderer Anbieter angeboten, oder man denke an die Vermittlung von regionalen Handwerkern oder Dienstleistern durch die Volksbank. Hier geht es darum, sich bei den Kunden über das schnöde Finanzthema hinaus unentbehrlich zu machen – so verlockend bequem wie bei den Wettbewerbern im Internet. Damit wird die Bank zu einem Nukleus in einem umfassenden Ökosystem. Dass durch solche Visionen die Abhängigkeit wie auch die Aufwendungen für die IT immer größer werden, versteht sich von selbst. Kein Wunder, dass die Aufsicht immer schärfer auf das Thema IT-Sicherheit schaut – und das nicht nur, weil die Rechenzentrale Fiducia & GAD IT gerade unter Angriffen aus dem Internet in die Knie ging.

Die Balance zu halten zwischen regionaler Verbundenheit und digitaler Verlockung – das wird die Gratwanderung der Genossen in den nächsten Jahren sein. Ihre Ausgangslage hierfür ist wahrlich nicht die schlechteste.