Im BlickfeldChina-Strategie

Gratwanderung im Umgang mit China

Der Umgang der deutschen Wirtschaft mit der China-Strategie der Bundesregierung gerät zur Gratwanderung. In keinem Fall wollen sich die Unternehmen in ihre Investitionsstrategie hineinregieren lassen, belegt eine Dax-Umfrage.

Gratwanderung im Umgang mit China

Gratwanderung im Umgang mit China

Groß ist die Erleichterung in der Wirtschaft, dass die Bundesregierung in ihrer China-Strategie nur noch vom „De-Risking“ spricht. Was darunter zu verstehen ist, bleibt jedoch vage, wie eine Umfrage unter den Dax-Unternehmen zeigt. Eingriffe in die Investitionsstrategie werden rundweg abgelehnt.

Von Annette Becker, Düsseldorf

Die China-Strategie Deutschlands ist ein heikles Thema. Über Monate hat die Ampel-Koalition darüber kontrovers diskutiert, bevor das Konzept Mitte Juli endlich das Licht der Öffentlichkeit erblickte. Die Brisanz belegt auch eine Umfrage der Börsen-Zeitung unter den Dax-Unternehmen. Nur gut ein Drittel der Dax-Firmen war überhaupt bereit, sich zur China-Strategie zu äußern. Ein Viertel der Unternehmen lehnte die Teilnahme an der Umfrage ab, andere Unternehmen reagierten vorsichtshalber erst gar nicht auf die Anfrage. Bei Unternehmen wie Eon, RWE oder Vonovia mag das mangels Betroffenheit verständlich sein. Doch selbst Firmen wie Adidas oder Mercedes-Benz, die in der Volksrepublik hohe Umsatzanteile erwirtschaften, winkten bzw. tauchten ab.

Große Erleichterung

Gleichwohl ist nicht zu überhören, wie groß die Erleichterung ist, dass die Bundesregierung in ihrer Strategie letztlich vom Begriff des De-Coupling Abstand nahm und nur noch von De-Risking spricht. Darin sind sich die Unternehmen einig. Das verwundert allerdings auch wenig, handelt es sich bei China mit seinen 1,4 Milliarden Einwohnern doch um einen riesigen Absatzmarkt. Für die Chemie- und die Autoindustrie ist das Reich der Mitte heute schon der weltweit wichtigste Einzelmarkt. Auch bei schweren Lkw ist das der Fall, wie Daimler Truck anmerkt. In anderen Branchen ist China auf dem besten Weg, zum größten Markt weltweit zu werden. In der Medizintechnik dürfte das nach Schätzung von Siemens Healthineers 2030 der Fall sein. Von daher ist der Rückzug für global aufgestellte Konzerne keine Option – geopolitische Risiken hin oder her.

Was unter De-Risking zu verstehen ist, bleibt in den Antworten allerdings ebenso vage wie in der von der Regierung vorgestellten Strategie. „Die Balance zwischen der Auseinandersetzung mit geopolitischen Risiken und der Betonung von Wirtschaftsbeziehungen ist entscheidend für Deutschlands Interessen“, befindet der Chemiekonzern Covestro, weist aber zugleich darauf hin, dass „bei der Kontrolle deutscher Investitionen im Ausland noch Diskussionsbedarf besteht“.  

Niemand ist “blauäugig”

Wettbewerber BASF, der gerade in Zhanjiang für 10 Mrd. Euro einen integrierten Verbundstandort errichtet, „unterstützt die in der China-Strategie genannten Ziele“, findet aber, dass in der Strategie die grundlegende Bedeutung der Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Deutschland zu kurz kommt. „Die Herausforderung durch China muss Anlass für mehr Wachstum, Innovation und bessere Rahmenbedingungen in Deutschland und Europa sein“, formuliert man in Ludwigshafen. Die Darmstädter Merck Group sieht „in der Strategie einen konstruktiven Weg nach vorn“, merkt aber ähnlich wie BASF an, dass „die Strategie klar die Notwendigkeit unterstreicht, Europas technologisches und innovatives Ökosystem durch F&E-Investitionen in wichtigen Bereichen zu schützen und zu stärken“.

„Niemand betrachtet die wirtschaftliche Supermacht China blauäugig oder unterschätzt die chinesischen Ambitionen“, heißt es bei Volkswagen. „Trotzdem ist es richtig, China in Zukunft nicht nur als Rivalen zu sehen, sondern weiter als Partner für die gemeinsamen Herausforderungen“, konstatieren die Wolfsburger, die sich erst vor wenigen Tagen auf eine Entwicklungspartnerschaft mit Xpeng, einem chinesischen Hersteller von Elektroautos, einließen, Kapitalbeteiligung inklusive.

Konzerne investieren weiter

Dass es ist richtig ist, allzu große Abhängigkeiten zu vermeiden, bestreitet niemand. Doch der Aufruf zum Abbau von Klumpenrisiken bleibt für die Investitionsstrategie der Unternehmen (vorerst) folgenlos. Der weltgrößte Chemiekonzern bekräftigt, an den angekündigten Investitionen in der Volksrepublik festzuhalten. Von den für den Zeitraum 2023 bis 2027 budgetierten Investitionen von 28,8 Mrd. Euro soll fast die Hälfte in die Region Asien-Pazifik fließen, allen voran in die Volksrepublik.

Auch Merck „wird die Chancen in China weiterhin nutzen“, im Rahmen der Wachstumsstrategie „aber zugleich in eine weltweit ausgewogene Präsenz“ investieren, um die Resilienz der Lieferketten zu erhöhen. Der Chemiedistributeur Brenntag, für den China vor allem als Beschaffungsmarkt gerade auch in andere Regionen eine wichtige Rolle spielt, untermauert, „angesichts der Größe des Marktes und seines enormen Potenzials wird Brenntag sein Geschäft in China sowohl organisch als auch anorganisch weiter kontinuierlich ausbauen“. Mit einem Umsatzanteil von 3,5% (2022) ist China für Brenntag aber auch nur einer von vielen Märkten.

Inwieweit sich die China-Strategie der Bundesregierung auf die Strategie des eigenen Unternehmens auswirkt, hängt von der konkreten Ausgestaltung ab. BASF begrüßt daher, dass „sich die Bundesregierung künftig intensiv mit in China engagierten Unternehmen über deren Investitionsstrategien austauschen will“. Zugleich betonen die Industriekonzerne einmütig, schon heute an der Reduzierung ihrer Risiken zu arbeiten. De-Risking sei „schon jetzt gelebte Praxis“, betont Volkswagen, obwohl sich der China-Anteil an den konzernweiten Pkw-Auslieferungen 2022 auf 40% belief. Auch Fresenius nimmt für sich in Anspruch, dass die Diversifizierung von Absatz- und Beschaffungsmärkten „seit langem gelebte Praxis“ ist. „China ist ein wichtiger Markt und wird dies auch bleiben“, betont der Gesundheitskonzern.

Von Rohstoffen abhängig

Zugleich heben die Unternehmen Chinas Bedeutung als Rohstofflieferant hervor. „Deutschland ist bei der Veredelung von Rohstoffen vorerst auf die Zusammenarbeit mit China angewiesen“, stellt Volkswagen fest. Siemens Energy weist darauf hin, dass sich 60% der Verarbeitungskapazitäten für Mineralien, die für die Energiewende benötigt werden, in China befinden, und regt an, „sich dieser Abhängigkeiten bewusst zu sein und ihnen entgegenzuwirken“. Wenngleich China einer der wichtigsten Märkte für Siemens Energy bleibt, versuchen die Münchener die Abhängigkeit über die Diversifizierung der Lieferketten und die Verbesserung der Recyclingkonzepte zu verringern. Zugleich wird jedoch angemerkt, dass “die China-Strategie einer Bundesregierung aus unserer Sicht immer ein Gleichgewicht bilden muss zwischen Risikoreduzierung und Anerkennung der Bedeutung des Marktes”.

Bei BMW folgt der Fingerzeig beim Stichwort Abhängigkeit von Vorprodukten auf Batteriezellen, bei denen es chinesische Unternehmen auf einen Weltmarktanteil von 45% brächten. Entsprechend hat der Autobauer aus München großvolumige Lieferverträge mit chinesischen Batterieherstellern geschlossen, auch wenn daneben Lieferbeziehungen mit Herstellern aus anderen Ländern bestehen. Henkel, die vor allem im Industriegeschäft in der Volksrepublik exponiert ist, regt dagegen an, dass bei aller Kooperation gleichzeitig die Diversifizierung kritischer Ressourcen verstärkt vorangetrieben werden muss. „Wir müssen lernen, die Systemunterschiede zu managen“, formuliert der Konsumgüterhersteller.

In China für China produzieren

Grundsätzlich haben sich alle Unternehmen darauf verlegt, in der Region für die Region zu produzieren. Henkel quantifiziert: „Rund 90% unserer chinesischen Produktion ist für China bestimmt. Wir exportieren nur sehr wenig aus China und begrenzen damit schon seit Jahren die Abhängigkeit anderer Märkte von China.“ Auch BASF geht ins Detail: 2022 seien global Rohstoffe, Güter und Dienstleistungen für 54 Mrd. Euro eingekauft worden, davon wurden etwa 90% lokal beschafft. Mit diesem Ansatz fühlen sich die Ludwigshafener auf der sicheren Seite, was die Resilienz und Zuverlässigkeit der Lieferketten betrifft. In China für China produzieren, heißt es auch bei Siemens Healthineers. Der Medizintechniker ist gerade dabei, die Folgen der China-Strategie der Bundesregierung für das eigene Geschäft zu analysieren.

Die deutsche Automobilindustrie weist bekanntlich die größte Abhängigkeit vom Reich der Mitte auf. Damit hängt aber automatisch auch die deutsche Zulieferindustrie am Fliegenfänger. Entsprechend ist Continental bemüht, die Bedeutung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit herauszustreichen. Denn nur „wirtschaftliche Zusammenarbeit mit China sichert heute und in Zukunft Wohlstand und Beschäftigung in Deutschland und Europa“.

Kampf gegen Klimawandel

Unabhängig davon fehlt in kaum einem Statement der Hinweis, dass China gebraucht wird, um den Kampf gegen den Klimawandel zu meistern. „Nur mit internationalen Abkommen und gemeinsamen Bemühungen können Klimaschutzziele erreicht werden“, schreibt beispielsweise MTU. Gerade für die Luftfahrtbranche sei China als aufstrebender Markt ein ganz wichtiger Partner für solche Abkommen.

In der China-Strategie werde zu Recht auf die Notwendigkeit hingewiesen, die Wettbewerbsfähigkeit der eigenen Industrie in neuen Märkten außerhalb von China zu stärken. Um den Wirtschaftsstandort Europa zu erhalten und auszubauen, seien aber „wirkungsvolle Maßnahmen durch EU/Deutschland für die Industrie wichtig“, schreibt MTU und meint damit das Schaffen fairer Wettbewerbsbedingungen und von Zugangsmöglichkeiten zum chinesischen Markt. Der Triebwerkhersteller ist in der Volksrepublik vorwiegend im Instandhaltungsgeschäft tätig, derweil der Markt vor allem von US-Triebwerksherstellern bedient wird. “Daraus resultiert auch die Notwendigkeit, eine ausgewogene Positionierung zwischen Europa und den USA sicherzustellen”, weiten die Münchener den Blick.

Ins gleiche Horn bläst die Münchener Rück, die auf das Versprechen der Regierung abstellt, sich für bessere Marktzugangs- und Wettbewerbsbedingungen in China einzusetzen.

Entspannte Banken

Anders als für die Industrie ist die China-Strategie für die deutsche Hochfinanz kein großer Aufreger. Nicht nur, weil die im Reich der Mitte erwirtschafteten Erträge sehr überschaubar sind, sondern auch weil die Großbanken vor allem indirekt über ihre deutschen Firmenkunden in China aktiv sind. Damit verknüpft ist allerdings auch die Sorge, dass es zu große Abhängigkeiten der Unternehmen auf der Beschaffungs- und/oder Absatzseite gibt. „Auch wir halten es für ratsam, dass Unternehmen auf eine ausreichende Diversifikation achten“, schreibt die Deutschen Bank. Aus Sicht der Commerzbank bedarf es allerdings auch der richtigen Rahmenbedingungen, „um den Ansatz De-Risking mit Leben zu füllen“. Dazu gehörten beispielsweise der Abschluss neuer Freihandelsabkommen sowie die Stärkung der Souveränität und Wettbewerbsfähigkeit der Europäischen Union.

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