ESG-Anlagen

Green Finance wirkt

Green Finance hat zwar noch Schwachstellen und offene Flanken. Aber der Vorstoß der EU-Kommission hat in bemerkenswertem Tempo für einen Paradigmenwechsel in der Finanzwirtschaft gesorgt.

Green Finance wirkt

Seit zwei Jahren dominiert das Thema Green Finance die finanzwirtschaftliche Debatte. Im Zen­trum steht dabei die Frage: Was ist grün? Beziehungsweise: Was ist nachhaltig? Oder etwas technischer formuliert: Was ist ESG-konform? Darüber reden sich die Regulierer die Köpfe heiß, ebenso die Aufseher und die Banken. Und seit vier Wochen nun auch das breite Publikum. Ende August nämlich hat die Debatte kräftig Fahrt aufgenommen und an Breite gewonnen, als die Aktie der DWS jähe Einbußen hinnehmen musste, weil Aufseher Untersuchungen wegen möglicher überzogener Versprechen in der nachhaltigen Anlage der Fondsgesellschaft gestartet hatten. Seither sind eine Reihe von Artikeln über „grünen Bluff“ oder „Öko-Schwindel“ erschienen – und seither hat das Schlagwort Green Fi­nance an Strahlkraft eingebüßt. Man könnte auch sagen: Die Debatte wird versachlicht. Und das ist gut so.

Denn ein Problem des Konzepts grüner Finanzierungen ist, dass es falsche Erwartungen weckt. Die Vorstellung, der Klimawandel wäre gestoppt und soziale Missstände wären überwunden, wenn sich nur genug Anleger für die schnell aus dem Boden gestampften ESG-Produkte entschieden, ist eine naive Illusion. Denn dafür reicht es natürlich nicht aus, viel Kapital in wenige unternehmerische Vorhaben umzuleiten, die bereits heute allen ökologischen und sozialen Kriterien erfüllen und den Regeln guter Unternehmensführung entsprechen. Ganz im Gegenteil: Damit wäre sogar die Gefahr verbunden, dass dunkelgrüne Investitionen mit Kapital überschüttet würden – und sich Blasen bilden. Einer, der mit den gesetzlichen Vorgaben für nachhaltige Finanzierungen befasst ist, warnt davor, der Regulierer dürfe sich nicht wie der Priester verhalten, für den die Welt in Ordnung ist, weil die 30 Besucher seines Gottesdiensts fromm und demütig auftreten, und der ausblendet, dass außerhalb der Kirchenmauern Tausende nichts am Hut haben mit dem Glauben.

Das Konzept grüner Finanzierungen wird zudem häufig dafür kritisiert, dass es keine einheitlichen Standards für die Ratings gibt, mit der Anbieter wie ISS, Sustainalytics oder MSCI die ESG-Konformität von Unternehmen bewerten. Auch in diesem Fall liegt allem Anschein nach ein Missverständnis vor. Denn die Ratingagenturen haben überhaupt nicht den Ehrgeiz, auf Basis einer einheitlichen Methodik zu ähnlichen Ergebnissen zu gelangen. So unterscheiden sich die Agenturen allein schon in der jeweiligen Gewichtung von Umwelt-, sozialen und Governance-Aspekten. Anders als bei den auf Ausfallwahrscheinlichkeiten fixierten Finanzratings ist es daher bei ESG-Ratings folgerichtig, dass ihre Gesamtbeurteilungen voneinander abweichen. Die Ratings korrespondieren in­sofern mit der Tatsache, dass es viel zu simplizistisch wäre, Unternehmen oder Finanzprodukte nur in die zwei Kategorien grün und braun zu sortieren. Zwar dürfte es regulatorisch nie gelingen, 50 Shades of Green in Gesetzesform zu gießen. Aber aus Brüssel werden in den nächsten Jahren Vorgaben erwartet, die die Taxonomie noch feiner aufgliedern.

Vor dem Hintergrund der Vorbehalte – Risiko der Irreführung von Investoren und der Fehlallokation – stellt sich die Frage, ob das europäische Großvorhaben Green Finance mit Blick auf die Ziele einer nachhaltig ausgerichteten Wirtschaft nicht letztlich kon­traproduktiv ist. Die klare Antwort lautet: Nein.

Green Finance hat zwar noch Schwachstellen und offene Flanken. Aber der Vorstoß der EU-Kommission hat in bemerkenswertem Tempo für einen Paradigmenwechsel in der Finanzwirtschaft gesorgt. Es gibt keinen Vorstand mehr, der ausblenden kann, welche Auswirkungen sein Unternehmen auf die Umwelt hat. Und es gibt keinen Investor mehr, der ignoriert, welche Lieferketten ein Zielunternehmen nutzt und inwieweit es regelkonform agiert. Diese Präsenz des Themas Nachhaltigkeit in Investmententscheidungen hilft wiederum der Politik erheblich, Gesetze zu verabschieden, die den Ausstoß von CO2 teurer machen. Denn die Politik muss diese Vorgaben nicht mehr gegen die Interessen der Finanzwirtschaft durchsetzen, sondern wird von bedeutenden Teilen der Investorenschaft darin unterstützt – von denen nämlich, die eine nachhaltige Transformation der Wirtschaft zu ihrer Investmentstrategie gemacht haben.

Green Finance allein wird den Kampf gegen Klimawandel und soziale Missstände nicht gewinnen. Aber nachhaltige Finanzierungen tragen dazu bei, die Voraussetzungen zu schaffen, um die Spielregeln der Wirtschaft so zu verändern, dass Umwelt und Gesellschaft davon profitieren.

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