LeitartikelLabour vor der Wahl

Opposition ohne Vision

Oppositionsführer Keir Starmer droht im Falle eines Wahlsiegs zum britischen Olaf Scholz zu werden. Denn für alles andere wird kein Geld da sein.

Opposition ohne Vision

Labour vor der Wahl

Opposition ohne Vision

Von Andreas Hippin

Keir Starmer droht im Falle eines Wahlsiegs zum britischen Olaf Scholz zu werden. Denn für alles andere wird kein Geld da sein.

Rechtzeitig für den Wahlkampf ist eine wohlwollende Biografie von Labour-Chef Keir Starmer erschienen, die sich alle Mühe gibt, den steifen Juristen von seiner menschlichen Seite zu zeigen. Man erfährt viel über sein Verhältnis zu seinem Vater, seinen jüngeren Bruder und seine Frau. Die Frage, was man bekommt, wenn man sein Kreuzchen bei den herannahenden Unterhauswahlen bei Labour macht, bleibt dagegen mehr oder weniger offen. Es kommt darauf an, ist die erste Antwort, die man von einem Anwalt wie Starmer erwartet. Tatsächlich hat er in den vergangenen Jahren häufig die Richtung gewechselt, wenn sich seine Position als die weniger populäre erwies. Die Forderung nach Abschaffung des nicht gewählten House of Lords hat die Zeit ebenso wenig überdauert wie das von ihm vorgeschlagene Gesetz zur Verhinderung von Militärinterventionen, das die Menschenrechte ins Zentrum der Außenpolitik stellen sollte.

Zurück in die Mitte

Starmer ist ein politischer Überlebenskünstler. Er gehörte zur Führungsmannschaft von Jeremy Corbyn, der die Partei an den linken Rand führte, nachdem sie von Tony Blair ins Zentrum gerückt worden war. Nun will sie mit Starmer wieder um die Mitte kämpfen. Labour könne von Blairs Amtsführung eine Menge lernen, sagte seine Finanzexpertin Rachel Reeves, die in der City of London mittlerweile eine gefragtere Gesprächspartnerin ist als die Finanz- und Wirtschaftspolitiker der Regierungspartei. Die ehemalige Volkswirtin der Bank of England hat bereits dafür gesorgt, dass der Green Prosperity Plan von Ed Miliband auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben wurde.

Abschied von grünen Ambitionen

Das Versprechen, jährlich 28 Mrd. Pfund in grüne Infrastruktur und Klimaschutz zu stecken, gehörte eigentlich zu den Kernthemen, mit denen Labour um Stimmen werben wollte. Doch solche Investitionen rechnen sich nur, wenn nahezu kostenlos Geld aufgenommen werden kann. Doch diese Zeiten sind vorbei. Wenn sie nach einem Wahlsieg Jeremy Hunt im Schatzamt ablöst, wird es keine großen Veränderungen geben. Keir Starmer droht zum britischen Olaf Scholz zu werden, einer Kontinuitätslösung. Denn für alles andere wird kein Geld da sein. Wenigstens müsste er sich nicht mit Koalitionspartnern herumärgern, könnte man meinen. Doch Labour ist intern weitaus zerrissener als die Berliner Ampel.

Chaos in Rochdale

Das zeigte zuletzt das Chaos in Rochdale. Dort findet am Donnerstag eine Nachwahl für ein Unterhausmandat statt. Labour hätte sie problemlos gewonnen. Doch ihr Kandidat tat sich mit antisemitischen Äußerungen hervor. Nach langem Hin und Her wurde er suspendiert, steht aber weiterhin als Labour-Kandidat auf dem Wahlzettel, weil sich das nicht mehr korrigieren ließ. Sollte er gewinnen, würde er als Unabhängiger ins Unterhaus einziehen. Viele Labour-Anhänger stehen weiterhin hinter ihm. Zum Ärger vieler Einwohner ging es im Wahlkampf mehr um den Krieg in Gaza als um Lösungen für die drängenden sozialen Probleme vor der eigenen Haustür.

Krieg in Gaza wird Wahlkampfthema

Doch wenn bei wirtschafts- und sozialpolitischen Themen kaum noch Unterschiede zwischen Regierung und Opposition wahrnehmbar sind, rücken eben andere Dinge in den Vordergrund. Der Gaza-Krieg könnte auch bei den für November erwarteten Unterhauswahlen eine Rolle spielen. Die von Muslimverbänden unterstützte Website "The Muslim Vote" hat eine Liste von Wahlkreisen erstellt, in denen Muslime mindestens ein Zehntel der Wahlberechtigten ausmachen. Sie will Kandidaten unterstützen, die für Palästina und für Frieden eintreten. Für manche Labour-Abgeordnete könnte ihre Wahlempfehlung über Sieg oder Niederlage entscheiden.

Nichts als Ärger mit der Basis

Rochdale ist eine Testwahl. Simon Danczuk, der ehemalige Labour-Abgeordnete des Wahlkreises, tritt für die Rechtspartei Reform UK an, die bei zwei anderen Nachwahlen bereits reichlich enttäuschte Brexit-Befürworter für sich gewonnen hat. Der Linkspopulist George Galloway zielt mit seiner Workers Party of Britain auf alle, die Israel nicht länger unterstützen wollen. Beide sprechen Labour-Stammwähler an. Starmer und Reeves werden bis November alle Hände voll zu tun haben, ihre Basis bei der Stange zu halten.

BZ+
Jetzt weiterlesen mit BZ+
4 Wochen für nur 1 € testen
Zugang zu allen Premium-Artikeln
Flexible Laufzeit, monatlich kündbar.