LEITARTIKEL

Hersteller handeln

In den Jahresgesprächen zwischen Lebensmittelproduzenten und Handelskonzernen, in denen es um Einkaufspreise und sonstige Konditionen geht, wird die Gangart künftig noch härter sein. Generell. Denn der monatelange, Anfang Mai beigelegte Streit...

Hersteller handeln

In den Jahresgesprächen zwischen Lebensmittelproduzenten und Handelskonzernen, in denen es um Einkaufspreise und sonstige Konditionen geht, wird die Gangart künftig noch härter sein. Generell. Denn der monatelange, Anfang Mai beigelegte Streit zwischen Nestlé und Edeka war nur ein Indiz für bedeutsame Veränderungen im Verhältnis von Konsumgüterherstellern, insbesondere Nahrungsmittelanbietern, zu Handelsketten.Zum einen ist die klare Arbeitsteilung – der Handel kümmert sich um den Endkunden, die Konsumgüterhersteller im weitesten Sinne um die Produkte – durchlässig, wenn nicht gar obsolet geworden. Die Eigenmarken der Supermärkte sind heute qualitativ in der Regel gleichwertig, liegen aber im Preis weit unter den Markenartikeln. Kein Wunder also, dass der Anteil der Handelsmarken an den gesamten Lebensmittelverkäufen Schätzungen zufolge inzwischen bei 42 % liegt. Aufgrund dieses Erfolges nimmt der Handel immer stärker die Produktion selbst in die Hand. Zudem haben neue, internationale Einkaufsallianzen eine gewaltige Marktmacht, etwa die 2015 gegründete Agecore, in der sich u. a. Edeka, Intermarché aus Frankreich und Coop aus der Schweiz verbündet haben. Daher ging es in der jüngsten Auseinandersetzung nicht nur um das gewohnte, jährlich wiederkehrende Scharmützel zwischen Nestlé Deutschland und Edeka, sondern darum, die Interessen vieler bedeutender Ländergesellschaften des Markenartiklers (neben Deutschland u. a. Schweiz, Frankreich, Italien und Spanien) und einiger großer Lebensmitteleinzelhändler in Europa auszutarieren und eine Vereinbarung zu finden, mit der alle Beteiligten leben konnten. Wer am längeren Hebel sitzt, machen Umsatzzahlen, vor allem aber Erlös- und Marktanteile klar: Edeka setzte als Marktführer in Deutschland 2017 etwa 52 Mrd. Euro um. Dagegen erlöst jeder der vier größten Markenartikler – unter anderem Oetker und Nestlé – hierzulande lediglich 3 Mrd. bis 4 Mrd. Euro. Im deutschen Lebensmittelhandel kam Edeka laut Statista auf einen Anteil von 23,5 %, Nestlé hatte auf der Produzentenseite einen Anteil von 2,9 %. Zu Endverbraucherpreisen wären von Nestlés 3,2 Mrd. Euro Umsatz gemäß GfK etwa 28 % auf Edeka als Abnehmer entfallen. Umgekehrt beträgt der Erlösanteil von Nestlé-Produkten bei Edeka knapp 2 %. Erschwerend kommt hinzu, dass im Gegensatz zum kleinteiligen Markt der Lebensmittelproduzenten der Einzelhandel in Deutschland stark konzentriert ist. Hinter Edeka setzten 2017 die Schwarz-Gruppe (Lidl, Kaufland), Rewe und Aldi jeweils mehr als 30 Mrd. Euro um. Die Top 4 kommen auf einen Anteil von 69 %. Wie stark der Druck, den die Supermarktketten auf die Markenartikler ausüben, gewachsen ist, zeigt sich auch daran, wie schwer sich Unternehmen wie Nestlé, Unilever und Danone tun, ihre Wachstums- und Renditeziele zu erreichen, obwohl diese im Vergleich zu früheren Jahren oft bereits deutlich nach unten geschraubt wurden. Um etwas Druck herauszunehmen, suchen die Hersteller den direkten Kontakt zum Verbraucher. Immer häufiger werden Markenprodukte in Eigenregie präsentiert und vertrieben. Der stationäre Direktvertrieb (Factory-Outlets, Flaggschiff-Stores oder eigenes Filialnetz), der in der Modebranche wegen der hohen Kosten schon wieder zurückgefahren wird und im Haushaltswarenbereich stagniert, feiert in der Lebensmittelindustrie (Nespresso-Boutiquen) derzeit Erfolge. In Monomarkenläden wie dem “Maggi Kochstudio” wird dem Verbraucher die ganze Produktpalette angeboten. Umgekehrt erhalten die Hersteller so unmittelbares Feedback und Einblick in die Konsumentenwünsche.Die Verkaufserlöse in Läden, die vom Lebensmittelhersteller betrieben werden, können aber nicht annähernd die Umsatzeinbußen wettmachen, die durch ungünstigere Konditionen in den Lieferverträgen mit Händlern entstehen. Deswegen findet bei Nestlé & Co. ein Kehraus statt: Jede Sparte, jede Marke, die margenarm ist, nicht mehr spürbar wächst und auch nicht revitalisiert werden kann, wird ins Schaufenster gestellt. Umgekehrt werden – zum Teil zu fragwürdig hohen Bewertungen – Geschäfte eingekauft, die wachstums- und renditestark sind. Diese Investitionen bergen große Risiken, denn in der Ernährung gibt es viele kurzlebige Moden. Aber bevor sich die Produzenten eingestehen, dass ihre – im Vergleich zum Handel – hohen Margen wegen der gestiegenen Marktmacht der Einkaufsallianzen und Ketten vor einer Erosion stehen, handeln sie lieber aktionistisch. An der Börse wird der höfliche Applaus dafür bald durch Buhrufe übertönt werden. —–Von Martin DunzendorferDie Gewichte im Verhältnis von Lebensmittelproduzenten und Handelskonzernen haben sich verschoben. Die Markenanbieter sind gezwungen, zu handeln.—–