Hinti, Bartel und der Tief(er)bahnhof
Mit Theorien über die Herkunft mancher Redewendungen lassen sich Konversationen auf Germanistenpartys in Schwung bringen oder längliche Wikipediaeinträge bestreiten. So auch über den Ausdruck, jemand „wisse, wo der Bartel den Most holt“. In Frankfurt wird er meist in einem konspirativen Ton wissenden Anerkennens vorgetragen. Zum Beispiel wenn es um die fußballerischen Qualitäten des schlitzohrigen Innenverteidigers Martin Hinteregger geht. Als österreichischer Nationalspieler teilt „Hinti“ das Schicksal von Jogis Jungs und dürfte nach dem EM-Aus gegen Italien bereits wieder zuhause sein. Da wartet schon die nächste Aufgabe; schließlich wünschen sich die Eintracht-Fans kaum etwas sehnlicher als eine Wiederauflage der europäischen Fußballnächte im dann hoffentlich wieder ausverkauften Waldstadion. Ausgelost werden die Gegner in der Europa League übrigens am 27. August.
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Wo der Bartel in Frankfurt wirklich den Most holt, mussten mehrere Fußgänger und Zweiradfahrer am Dienstagmorgen schmerzlich erfahren. Nachdem er am Osthafen einen offenbar undichten Container mit Apfelsaftkonzentrat geladen hatte, hinterließ ein Sattelschlepper auf der Gerbermühlstraße, entlang des Museumsufers bis kurz hinter dem Baseler Platz eine klebrige und nicht minder glitschige Spur, die Rad- und Motorradfahrer zu Fall brachte, mehrere Blechschäden verursachte und infolge der zwecks Reinigungsarbeiten angeordneten Sperrung der Friedensbrücke den morgendlichen Berufsverkehr zum Erliegen brachte. Das sich in der schon morgens drückenden Schwüle entwickelnde Aroma von 17000 Litern Apfelsirup mag den einen oder anderen als olfaktorische Inspiration gedient haben, mal wieder dem Gemalten, dem Fichtekränzi oder dem Wagner einen Besuch abzustatten, dürfen die Traditionslokale dank sinkender Inzidenzzahlen doch endlich wieder Gäste empfangen.
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Während des Lockdowns gab der Blick aus dem Küchenfenster zum wachsenden Unmut der Autorin die schwindende Sicht auf den Messeturm preis. Schuld sind Wohntürme, die derzeit wie ziemlich große Pilze aus dem Frankfurter Boden schießen, durch den sich dank der Verlängerung der U-Bahnstrecke ins Europaviertel und dem geplanten Bau eines tiefergelegten Fernbahnhofs die Tunnelbohrmaschinen wie nicht minder überdimensionierte Regenwürmer schieben. Ein Ortsbesuch auf der Baustelle des knapp 100 Meter hohen „Eden Towers“ (siehe Leitartikel) offenbarte jedoch, dass Frankfurt endlich mal wieder Spitze ist, trotz vergeigter Champions-League-Qualifikation, Verlust der IAA und beschämender Börsenbewertungen der hiesigen Banken. Dank 200000 Pflänzchen, darunter Lungenkraut und japanische Segge, die vollautomatisch mit Regenwasser und Nährstoffsubstrat versorgt werden, entsteht laut Immobilienentwickler einer der höchsten begrünten Wohntürme des Kontinents.