Tokio

Hut ab vor so viel Finanzwissen!

Die japanischen Sparer beobachten die Wechselkurse sehr genau. Der Yen hat dieses Jahr enorm abgewertet. Die Regierung will nun das Finanzwissen ihrer Bürger stärken – dabei wäre das gar nicht nötig.

Hut ab vor so viel Finanzwissen!

Die japanische Währung sorgt seit Wochen für Schlagzeilen auf den Wirtschaftsseiten der Zeitungen. Der Yen hat in diesem Jahr um knapp ein Viertel zum Dollar abgewertet und erreichte mit einem Wechselkurs von über 150 Yen je Dollar das Niveau von 1990. Von einem „historischen“ Tief kann jedoch keine Rede sein. 1960 bekam man für 1 Dollar 360 Yen, nach dem Ende des Goldstandards 1972 waren es 240 Yen. Dann halbierte sich der Kurs durch den Plaza-Akkord 1985 schlagartig auf 120 Yen, das Rekordhoch wurde 1985 mit 79 Yen markiert. Nach der Finanzkrise 2008/09 näherte sich der Wechselkurs diesem Hoch vorübergehend wieder an, bis die Bank of Japan ein Inflationsziel einführte und die Geldhähne voll aufdrehte.

Historisch gesehen liegen die gegenwärtigen 150 Yen je Dollar also eher im Mittelfeld, auch scharfe Schwankungen wie in diesem Jahr hat es mehrmals gegeben. Die ökonomischen Auswirkungen sind natürlich trotzdem signifikant. Mein Supermarkt zum Beispiel hat einen getrockneten Schinken aus Spanien aus dem Sortiment genommen, den ich mir häufiger zum Frühstück gönnte. Der schwache Yen verteuert Importe, viele Einzelhändler glauben jedoch nicht, dass ihre Kunden höhere Preise akzeptieren. Also kaufen sie Ersatzprodukte zum gleichen Endpreis ein, die weniger hochwertig und leider auch weniger lecker sind. Auch mein auf Buchweizennudeln spezialisiertes Lieblingsrestaurant um die Ecke hat die Preise erhöht und die Portionen verkleinert. Diese Beispiele lassen sich verallgemeinern – überall andere Waren in den Regalen und Preisanhebungen auf den Speisekarten. Eine Reise ins Ausland ist für Japaner durch den schwachen Yen nun wieder richtig teuer geworden. Die gleiche Mahlzeit bei der Restaurantkette Otoya kostet in New York sechsmal so viel wie in Tokio. Und wer im Dezember einen deutschen Weihnachtsmarkt besuchen möchte, zahlt für einen Economy-Flug nach Frankfurt oder München rund 3000 Euro – mehr als doppelt so viel wie vor der Pandemie. Zwar treibt auch die geringe Sitzkapazität nach der Aufhebung der Visapflicht die Flugpreise nach oben. Aber der Weich-Yen sorgt über die Treibstoffkosten eben auch für einen ordentlichen Aufschlag. Viel härter trifft es ausländische Gastarbeiter in Japan: Ihr verdientes Geld ist bei der Überweisung in die Heimat viel weniger wert. Einige warten nun mit dem Transfer auf bessere Wechselkurse, andere erwägen die Rückkehr nach Hause. Umgekehrt gehen mehr Japaner ins Ausland – für die gleiche Arbeit können sie in Australien oder den USA in Yen gerechnet doppelt so viel bekommen.

Viele Japaner haben ein ausgezeichnetes Verständnis für Wechselkurse. Seit Beginn der Nullzinspolitik vor über 20 Jahren kauft Ms. Watanabe, wie diese spekulierenden Anleger allgemein heißen, bevorzugt hochrentierliche Fremdwährungen wie südafrikanische Rand und türkische Lira. Doch die Regierung meint, dass die Bevölkerung zu wenig vom Geldanlegen weiß. Daher wurde die finanzielle Bildung vor kurzem zum Pflichtbestandteil des Lehrplans weiterführender Schulen. Allerdings wird die Umsetzung einige Jahre dauern, weil zunächst die Lehrkräfte für die Vermittlung von Finanzwissen qualifiziert werden müssen.

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Von den 2000 Bill. Yen (13,7 Bill. Euro) Privatvermögen sind in Japan nur 10% in Aktien investiert. Diese Quote soll mittelfristig steigen, damit die Japaner mit den Aktienerträgen im Alter ihre kleine Rente aufbessern können. Ein Ansatzpunkt von Premierminister Fumio Kishida gilt dem Nippon Individual Savings Account (NISA), das Anfang 2014 eingeführt wurde. Wertpapierkäufe für 6 Mill. Yen (41000 Euro) verteilt auf fünf Jahre sind derzeit bis 1 Mill. Yen steuerfrei. Diese Anlagezeit will Kishida nun verlängern.

Meiner Meinung nach brauchen die Japaner jedoch keine Nachhilfe. Sie haben in den letzten zwei Jahrzehnten ein gutes Händchen am Finanzmarkt bewiesen. Bargeld ist bei den meisten Trumpf, da Staatsanleihen nichts abwerfen. Wer in Aktien investiert, verkauft oft nahe dem Höhepunkt einer Hausse. Viele erwarben Immobilien, als der Markt am Boden war. Hut ab vor so viel Marktgespür!

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