Im Sondierungsparcours
„Der Keks ist noch nicht gegessen“, sagte Robert Habeck, der metaphernreiche Co-Chef der Grünen, nachdem er am Mittwoch zusammen mit der Co-Parteichefin Annalena Baerbock das Startsignal für Sondierungen über eine Ampel-Koalition in Dreiergesprächen mit SPD und FDP gegeben hatte. Heute steht der erste „Gedankenaustausch unter drei Parteien“ auf dem Programm, wie FDP-Chef Christian Lindner formulierte, der den Beratungen über ein Dreierbündnis mit SPD und Grünen am Mittwoch ebenfalls seine Zustimmung gab. Sowohl Habeck als auch Lindner betonten, dass ein Jamaika-Bündnis mit der Union noch nicht vom Tisch ist. Parallele Gespräche mit CDU/CSU werde es allerdings nicht geben, erklärte der FDP-Chef und fügte einen Satz hinzu, der noch öfter als Legitimation dafür dienen könnte, dass die Liberalen einer Ampel den Vorzug vor Jamaika gegeben haben: „In der Öffentlichkeit werden Regierungswillen und Geschlossenheit der Union diskutiert.“
Die Union tat Lindner sogleich den Gefallen, weiteres Anschauungsmaterial für den innerparteilichen Zwist zu liefern. Denn bevor CDU-Chef Armin Laschet in Berlin auf die Einleitung der Sondierungsgespräche für eine Ampel reagiert hatte, preschte CSU-Chef Markus Söder in München in gewohnter Manier vor, sprach von einer „Vorentscheidung für die Ampel“ und teilte mit, dass die CSU nicht länger „in Lauerstellung“ verharren werde. Laschet, der als Spitzenkandidat der Union für das historisch schlechteste Abschneiden bei der Bundestagswahl verantwortlich gemacht wird und dessen politische Zukunft deshalb nur noch am seidenen Faden eines Jamaika-Bündnisses hängt, schlug kurz darauf einen verbindlicheren Ton an und sicherte FDP und Grünen weiter Verhandlungsbereitschaft zu, nur um wenig später von CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt eines Besseren belehrt zu werden: „Der Zug, den Grüne und FDP heute aufs Gleis gesetzt haben, wird mit hoher Wahrscheinlichkeit auch sein Ziel erreichen.“
Sollte es so kommen, dürfte es nicht zuletzt daran liegen, dass die Union in den vergangenen Tagen allem Anschein nach bereits an der ersten Übung im Sondierungsparcours gescheitert war, vertrauliche Gesprächsinhalte vertraulich zu behandeln. Die in der „Bild“ verwerteten Indiskretionen aus den Sondierungsgesprächen mit CDU/CSU dürften FDP und Grünen jedenfalls einen weiteren Grund geliefert haben, die jetzt beginnenden Dreiergespräche nur mit der SPD zu führen. Dafür spricht zuvorderst aber auch das Ergebnis der Wahl, aus der alle drei Ampel-Parteien gestärkt hervorgegangen sind, während die Union ein Debakel erlebte, das sich noch nicht jeder eingestanden hat. In Umfragen aus den Tagen seit dem Wahlentscheid ist eine hohe Ablehnung gegen eine Regierungsbeteiligung der Union zu sehen. Mit dem Verband der Deutschen Maschinen- und Anlagenbauer hat sich zuletzt auch die erste Leitbranche am Industriestandort für ein Ampel-Bündnis ausgesprochen, nachdem der Verband im Sommer noch für Jamaika geworben hatte.
Bevor man Koalitionsverhandlungen erfolgreich führen könne, müsse man sie erst einmal richtig aufsetzen, das sei, wie wenn man eine Schraube durch ein Brett dreht, erklärte Habeck mit einer weiteren Metapher zum Start der (Vor-)Sondierungen in der vergangenen Woche. Das ist unter der Führung von Grünen und FDP zusammen mit der SPD gelungen, und damit sind die Partner für ein mögliches Ampel-Bündnis einen wichtigen Schritt weiter als die Verhandler über eine Jamaika-Koalition 2017.
Die anspruchsvollen Übungen im Sondierungsparcours kommen allerdings erst noch, und zu dritt sind die meisten Herausforderungen schwieriger zu bewältigen. Dass sich FDP und Grüne etwa schon als „fortschrittsfreundliches Zentrum“ einer künftigen Koalition begreifen, wird man dem Wahlsieger SPD wahrscheinlich genauer erklären müssen. Wie zum Beispiel die haushaltspolitischen Vorstellungen der FDP mit den gesellschaftspolitischen Plänen der SPD und den klimapolitischen Ansprüchen der Grünen zusammengehen können, wird man in den Sondierungsgesprächen zumindest skizzieren müssen. Schließlich wird bei aller Betonung von Inhalten vor Karrieren auch zu klären sein, wie die Ressortverteilung in einem Dreierbündnis geregelt werden kann, ohne dass in der „Koalition der Gewinner“ einer wie der Verlierer dasteht. Das könnte am Ende Robert Habeck treffen, weil Christian Lindner wohl nur als designierter Finanzminister in der Lage sein wird, seiner Partei eine Ampel-Koalition zu vermitteln.