LEITARTIKEL

Im Tablettenrausch

Die Pharmaindustrie hat das neue Jahr so begonnen, wie sie das alte beendet hat: mit Übernahmen. Schon in den ersten drei Monaten kletterte das Dealvolumen auf 100 Mrd. Dollar und liegt damit annähernd drei Viertel über dem Wert der Vorjahreszeit....

Im Tablettenrausch

Die Pharmaindustrie hat das neue Jahr so begonnen, wie sie das alte beendet hat: mit Übernahmen. Schon in den ersten drei Monaten kletterte das Dealvolumen auf 100 Mrd. Dollar und liegt damit annähernd drei Viertel über dem Wert der Vorjahreszeit. 2014 musste die Einkaufstour in der Gesundheitsbranche erst in Schwung kommen, bis schließlich mit 300 Mrd. Dollar ein neuer M & A-Rekordstand erreicht war. Ein Abflauen des Tablettenrausches ist nicht in Sicht, zumal neue Kräfteverhältnisse im Markt üblicherweise die in den Schatten gestellten Wettbewerber zum Handeln veranlassen.Der Druck steigt, wie die zunehmenden Bewertungen aber auch das Auftreten feindlicher Zugriffe zeigt. Der Chef des Gesundheitskonzerns Fresenius, Ulf M. Schneider, bekannt als durchaus aggressiver Unternehmenskäufer, spricht von Mondpreisen, so dass er erstmal sein Pulver trocken halte werde. Im vergangenen Jahr waren noch zahlreiche Akquisitionen oder Kaufversuche von US-Konzernen auf steuerliche Synergien aus, die nach fiskalischen Anpassungen nicht mehr zu verwirklichen sind. Dieser zum Teil beträchtliche Bewertungsteil kann also nicht mehr einkalkuliert werden, damit sich eine Transaktion rechnet. Dies dürfte manchen Exzess verhindern.Zunehmend in Szene setzen sich die Generikahersteller, deren Geschäftsmodell, Pharmaprodukte nach Patentablauf zu vermarkten, von verschiedenen Seiten unter Druck gerät. Schon im vergangenen Jahr summierten sich in diesem von Konsolidierung getriebenen Marktsegment die Zusammenschlüsse auf ein Volumen von mehr als 100 Mrd. Dollar. Den größten Kauf tätigte Actavis, die sich gegen Jahresende im Bieterkampf mit Valeant für 65 Mrd. Dollar den Botox-Hersteller Allergan einverleibte, nachdem sie sich neun Monate vorher mit der Übernahme von Forest für gut 20 Mrd. Dollar warmgelaufen hatte. Mit der unerbetenen Offerte der israelischen Teva für den US-Wettbewerber Mylan von gut 40 Mrd. Dollar spielt sich aktuell der bislang schwerste Deal im laufenden Jahr abermals im Markt für Nachahmermedikamente ab. Und es wird nicht der letzte sein.Dass im Geschäft mit Generika und Selbstmedikation nach vielen Konsolidierungsrunden so etwas wie Torschlusspanik ausgebrochen ist, zeigt sich auch am jüngsten Gerangel um Mylan. Das im US-Markt verankerte Unternehmen, dass seinen steuerlichen Sitz über eine Übernahme in die Niederlande verlegt hat, versucht sich mit Flucht nach vorn dem offenbar seit geraumer Zeit sondierten Zugriff des größten israelischen Industrieunternehmens zu entziehen. So startete Mylan im Vorgriff eine ebenfalls unfreundliche Attacke auf den Wettbewerber Perrigo mit einem Gebot von über 30 Mrd. Dollar, um selbst zu einem schwerer verdaulichen Bissen zu werden und die Unabhängigkeit zu bewahren. Käme Mylan zum Zug, würde sie das deutlich höhermargige Geschäft mit verschreibungsfreien Markenprodukten mit dem Sortiment von Perrigo andicken. Eine Diversifizierungsstrategie, die angesichts des schwieriger werdenden Generikaumfelds zahlreiche Konzerne eingeschlagen haben.Teva ist insofern ein Sonderfall, weil die Gesellschaft mit einem Multiple-Sklerose-Medikament auch im Segment der patentgeschützten Arzneien erfolgreich ist, dieses Mittel, das ein Fünftel zum Umsatz und die Hälfte des Ergebnisses beisteuert, aber nun Generikakonkurrenz bekommt. Gleichzeitig verlangsamt sich das Wachstum im Kerngeschäft, weil die große Welle an Patentabläufen abflacht. Wie andere Wettbewerber steht die Nummer 1 der globalen Generikaanbieter unter Preisdruck, werden doch im Zuge staatlicher Kostensenkungen auch bei den billigen Nachahmerprodukten zunehmend Rabatte abverlangt.Teva würde mit der Übernahme von Mylan, der Nummer 4 in dem Geschäft, ihre Führungsposition erheblich ausbauen und wieder zur unangefochtenen Marktführerin, nachdem sie zuletzt Anteile an indische Konkurrenten verloren hatte. Zusätzlich zur erstarkten Marktmacht in Einkauf und Vertrieb bekäme die mehr als hundert Jahre alte israelische Firma Zugang zu Produktionskapazitäten in Niedriglohnländern, etwa in Indien, Ungarn oder Brasilien. Angesichts des Preisumfelds wird es für die Generikakonzerne immer wichtiger, die Rohstoffversorgung und Herstellung unter Kontrolle zu haben. Dass Teva bei einem Mylan-Erwerb Synergien von 2 Mrd. Dollar erwartet, zeigt die Dimensionen solcher Kostensenkungen. Doch der Hammer ist noch nicht gefallen.——–Von Sabine WadewitzIm Reigen der Pharmafusionen setzen sich die Generikahersteller zunehmend in Szene. Ihr Geschäft ist von verschiedenen Seiten unter Druck.——-