Unterm Strich

Im Teufelskreis des Vertrauens­verlusts

Eine Bankenkrise 2.0 wird es aktuell nicht geben. Aber die jüngsten Schieflagen zeigen, dass die Lehren aus der Bankenkrise von 2008 zu wenig beachtet werden.

Im Teufelskreis des Vertrauens­verlusts

Krisenpropheten haben Hochkonjunktur in diesen Tagen, und die Panik an den Märkten scheint ihnen recht zu geben. Keine Woche hat es gedauert von der Zwangsverwaltung der Silicon Valley Bank (SVB) durch die US-Einlagensicherung FDIC bis zum Chapter-11-Antrag ihrer Konzernmutter. Und nur wenige Tage hat es gedauert bis zum Übergreifen des Vertrauensverlustes auf vermeintlich von der SVB unabhängige europäische Banken wie die Credit Suisse. So sehr sich beide Institute in Größe, Geschäftsmodell, Bilanzstruktur und Regulierung unterscheiden mögen, beide haben unterschätzt, welchen Teufelskreis der sich im Abzug von Kundengeldern zeigende Vertrauensverlust auslöst, zumal in Zeiten steigender Zinsen.

Gewiss, die Ursachen für den Kollaps der SVB und die Liquiditätsnot der Credit Suisse sind grundverschieden. Auf der einen Seite eine nachlässig regulierte Regionalbank, die in Zeiten billigen Geldes ein immer größeres Rad mit der Fristentransformation gedreht hat und deren riesiger Carry Trade in Zeiten inverser Zinsstrukturkurven irgendwann platzen musste. Auf der anderen Seite eine als systemrelevant regulierte internationale Großbank, die zwar auf dem Papier bisher alle Kapital- und Liquiditätsanforderungen erfüllte, aber mit einer einzigartigen Folge von Skandalen und unternehmerischen Fehlentscheidungen das Vertrauen ihrer Aktionäre und Kunden verspielte. Ob es ihr gelingen wird, mit den von der Schweizerischen Nationalbank (SNB) geliehenen 50 Mrd. Franken auch Vertrauen in das eigene Haus zu transferieren, muss mit Blick auf die Stakeholder der Credit Suisse und deren Reaktion bezweifelt werden. Da die Übernahme durch den Schweizer Wettbewerber UBS aus kartellrechtlichen Gründen und wegen der „Too big to fail“-Problematik nicht in Frage kommen sollte, bleibt nur die Abwicklung beziehungsweise der Fortbestand als ein auf das schweizerische Kerngeschäft abgespecktes Institut.

Konzertierte Hilfsaktion

Wird sich der Vertrauensverlust zu einer „langsam rollenden Vertrauenskrise“ entwickeln, wie dies Blackrock-Chef Larry Fink unter Hinweis auf die Savings-and-Loan-Krise der 1980er Jahre befürchtet, oder gar zu einem Flächenbrand ausweiten, der in eine Banken- und Finanzkrise 2.0 mündet? Es gibt ermutigende Zeichen, dass dies nicht geschehen wird. In den USA ist die konzertierte Stützungsaktion von elf großen US-Banken für die strauchelnde First Republic Bank unter Regie des Finanzministeriums, der Fed und des FDIC ein positives Signal, auch wenn die Märkte skeptisch bleiben. Dass die Finanzhilfe von 30 Mrd. Dollar freilich keine altruistische Anwandlung ist, wird deutlich am riesigen Verlust an Marktkapitalisierung der US-Banken in der zurückliegenden Krisenwoche. Vertrauensbildend sollte auch wirken, dass US-Regierung, Fed und SEC die Bankenregulierung verschärfen wollen, nachdem „mittelgroße“ Banken wie die SVB mit einer Bilanzsumme bis zu 250 Mrd. Dollar zuletzt als nicht systemrelevant betrachtet wurden und von den strengen Eigenkapital- und Liquiditätsanforderungen wie auch Stresstests ausgenommen waren.

Ohne Risikobewusstsein

Der Fall SVB zeigt vor allem, wie wenig Lehren vor allem in den USA aus der Bankenkrise 2008 gezogen wurden und wie nachlässig dort die Banken beaufsichtigt werden. Wie konnte es sonst sein, dass eine größenmäßig auf Platz 16 rangierende Bank solche Klumpenrisiken in Bilanz und Geschäftsmodell anhäufen kann? Dass die Bankvorstände der SVB sich eher wie Tech-Unternehmer statt wie Banker gefühlt haben und auch so risikofreudig agierten und überdies monatelang ohne Risikovorstand arbeiteten? Wie kann es sein, dass in dem nur wenige Tage vor dem Kollaps veröffentlichten Jahresabschluss der SVB der seit 1994 (!) amtierende Abschlussprüfer KPMG angesichts der Bilanzrelationen kein „Going Concern“-Risiko feststellt? Offensichtlich hat ein Jahrzehnt ultraexpansiver Geldpolitik nicht nur die Geschäftspolitik und Risikobereitschaft von Banken sehr verändert, sondern auch die Risikoeinschätzung von Aufsehern und Abschlussprüfern.

Wenn Grund der laxen Kon­trolle die Erwartung gewesen sein sollte, dass im Krisenfall wieder Staat und Notenbank den „Lender of Last Resort“ spielen, dann ist die Wette bei der SVB aufgegangen. Statt Bail-in, wie es als Konsequenz der Bankenkrise bei den Treffen der Notenbanken und Aufseher bei der BIZ in Basel vereinbart wurde, hieß es jetzt im Falle SVB wieder Bail-out, womit die US-Behörden jene Spielregeln brachen, die sie bei Schieflagen europäischer Banken in Italien oder Spanien gerne so lautstark und zu Recht einfordern. Der Schutz aller Einlagen der SVB – über die versicherten 250000 Dollar je Kunde hinaus – mit der Berufung auf die systemische Relevanz der Regionalbank ist nicht nur ein eklatanter Bruch der Spielregeln, sondern auch ein Widerspruch in sich, weil ja gerade mit der fehlenden systemischen Relevanz die laxe Regulierung begründet worden war.

Faktisch um einen Bail-out, nämlich Haftungsübernahme durch den Staat, handelt es sich auch beim SNB-Beistandskredit von 50 Mrd. Franken für die Credit Suisse, der unter anderem für Anleihenrückkäufe genutzt werden soll. Da es sich um einen Eingriff in den Wettbewerb handelt, wird sich eine solche Hilfsaktion nicht einfach wiederholen lassen. Im Fokus stehen für die Schweizer Bank deshalb jetzt Maßnahmen des Bail-in, wie sie nach der Bankenkrise entwickelt wurden, um nicht abermals den Steuerzahler für Bankenschieflagen haften zu lassen. Doch die für diesen Zweck emittierten Anleihen im Volumen von 76 Mrd. Franken sind stark unter Wasser, gelten als „disstressed“. Es dürfte deshalb eine Frage der Zeit sein, bis die ersten Ratingagenturen angesichts der düsteren Aussichten den Daumen senken und damit den Anfang vom Ende der Credit Suisse in heutiger Gestalt einläuten.

c.doering@boersen-zeitung.de

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