München

In Bayern weht jetzt ein anderer Wind

Lange zögerte die Regierung des Freistaats mit dem Ausbau der Windkraft. Doch jetzt will das Team um Ministerpräsident Markus Söder richtig Tempo machen.

In Bayern weht jetzt ein anderer Wind

Und sie bewegt sich doch – die bayerische Regierung. Lange zögerte man in der Staatskanzlei mit einem zügigen Bau von Windkraftanlagen. Die sogenannte 10H-Abstandsregel bremste den Tatendrang, bevor er überhaupt entstehen konnte. Doch das Jahr 2022 ist ein ganz besonderes Energiejahr. Der Angriff auf die Ukraine markiert das Ende für das relativ billige Öl und Gas aus Russland. Und schon gibt es auch in Bayern ein Umdenken. Plötzlich entdeckt Ministerpräsident Markus Söder (CSU) sein Interesse für die Anlagen und spricht von „vollem Rückenwind für die Windkraft“.

Dazu trug wohl auch Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) seinen Teil bei, denn er drohte zu Jahresbeginn damit, 10H abzuschaffen. Die Regel, dass ein Windrad mindestens das Zehnfache seiner Höhe vom nächsten Wohnort entfernt sein muss, wurde gelockert. Ende Oktober stimmte Bayerns Landtag dafür. Jetzt gilt in Vorranggebieten ein Mindestabstand von nur noch 1000 Metern; von Juni 2023 an sind es 800 Meter. Ein Kilometer Entfernung lautet die Regel neben Autobahnen, neben Hauptstrecken der Bahn, in Industriegebieten und Wäldern. Für zum Beispiel 200 Meter hohe Windräder bedeutet das, dass sich der Mindestabstand zum nächsten Wohnort halbiert.

Die Minister in Söders Kabinett überschlagen sich mit dem Lobpreis der Windkraft. „Jedes neue Windrad macht uns unabhängiger vom Import fossiler Energie“, jubelte Umweltminister Thorsten Glauber von den Freien Wählern vor Kurzem im niederbayerischen Ort Wiesenfelden, wo ein neues Windrad in den Wäldern der Familie Thurn und Taxis seine Dreharbeiten begann.

Auch Söder stellte sich dort mit Hut und in Wanderschuhen lachend in einer Reihe mit neun weiteren Männern der Fotografin am Fuße des grauen Masts der Anlage. Im nebligen Hintergrund recken Bäume ihre kahlen Äste in den Himmel. Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) ist auch dabei, lacht und trägt ebenfalls Hut.

Bayern will Tempo machen: In den nächsten Jahren sollen rund 1000 neue Windkraftanlagen gebaut werden. Bisher sind es etwa 1140 zwischen Spessart und Alpen. 2021 lag der Freistaat gerade mal an achter Stelle in der Rangliste der Bundesländer für Windenergieanlagen an Land, obwohl es die mit Abstand größte Fläche hat. Spitzenreiter Niedersachsen hat mehr als die fünffache Anzahl.

Damit Planung und Genehmigung nicht mehr so lange dauern, will der Freistaat 100 zusätzliche Stellen schaffen, vor allem in den Regierungen der sieben Bezirke. Aiwanger berichtet, die von ihm eingesetzten „Windkümmerer“ betreuten derzeit 68 Projekte mit 140 bis 200 neuen Windrädern. „Großprojekte für die Versorgung der Glasindustrie im Frankenwald und des bayerischen Chemiedreiecks mit insgesamt etwa 50 Windrädern gehen wir mit hoher Priorität an.“

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Fachleute rechnen damit, dass es dennoch einige Jahre dauern wird, bis sich die ersten Windräder drehen, die auf Basis der neuen Regeln gebaut werden. Und Gegenwind gibt es im Südosten der Republik nach wie vor. Allen voran vom Verein für Landschaftspflege, Artenschutz und Biodiversität, kurz VLAB. Vieles an den Änderungen zur Beschleunigung des Ausbaus erneuerbarer Energien sei mit heißer Nadel gestrickt und lasse sich möglicherweise auf EU-Ebene anfechten, heißt es auf der Internetseite des Vereins. Er bemängelt etwa „einen enormen Landschaftsverbrauch“ und „massive Auswirkungen auf die Landschaftsbilder“. „Windräder zerstören das Erscheinungsbild ganzer Waldlandschaften und vermitteln ihnen den Charakter eines Industrieraumes.“ Rechtsanwalt Armin Brauns, Mitglied im Beirat des VLAB, listet auf seiner Homepage etliche Fälle auf, in denen er Kommunen und andere Mandanten mit Erfolg in Auseinandersetzungen um Windkraftanlagen vertreten habe.

In der gesamten Bevölkerung wächst allerdings die Akzeptanz für den Ausbau erneuerbarer Energien weiter, wie Umfragen zeigen. Der Wunsch nach Versorgungssicherheit steht für eine Mehrheit an erster Stelle: Rückenwind für Söders Kehrtwende.