Notiert inSchanghai

In der Hymne liegt die Kraft

China beendet mit Stolz die Olympischen Spiele von Paris. Die Medaillenstatistik weist Augenhöhe mit den USA aus. In tonaler Hinsicht aber kann keine Nation China das Wasser reichen.

In der Hymne liegt die Kraft

Notiert in Schanghai

In der Hymne liegt die Kraft

Von Norbert Hellmann

40:40 sagt der olympische Goldmedaillenspiegel, aber der Traum von der großen Wachablösung ist doch geplatzt. Ein paar Dutzend mehr Silber- und Bronzemedaillen sichern den USA auch in Paris den angestammten ersten Platz vor China. Dramatischer ging es nicht: Bei der letzten Medaillenentscheidung, dem Frauen-Basketball, kommt Frankreich beim Stand von 67:64 für die USA und Sekunden auf der Spieluhr zum Korbwurf. Ein Drei-Punkte-Versuch für den Ausgleich, der Ball wischt mit dem Schluss-Buzzer tatsächlich durchs Netz, die Halle tobt. Aber dann – der Fuß der Französin hatte die Demarkationslinie für Drei-Punkte-Würfe berührt, damit werden nur zwei Zähler angerechnet.

Soft-Power-Demonstration

Frankreich verliert 66:67, das US-Team hat seine vierzigste Goldene und Millionen von Chinesen wanken mit erhöhtem Pulsschlag und Frustpegel ins Bett. Am Tag danach aber überwiegt der Stolz. Die Staatsmedien feiern die Spiele von Paris als Triumph für internationale Imagepflege. China soll gezeigt haben, dass man den USA auf globaler Ebene nicht nur an geopolitischer Macht, sondern auch an der Soft-Power-Front Paroli bietet.

Beim nächsten Mal wird’s schwerer

Die Parteizeitung „Global Times“ spricht von einem unaufhaltsamen historischen Trend. Dazu bietet man Zitate von Professoren einschlägiger heimischer Elite-Universitäten auf. Sie wissen Chinas athletische Erfolge als Sinnbild internationaler Machtdemonstration auch akademisch zu untermauern. In vier Jahren wird dieser politikwissenschaftliche Ansatz kaum mehr taugen. Bei der nächsten Auflage 2028 in Los Angeles dürften die USA als Heimveranstalter den Medaillenspiegel wieder klar dominieren.  

Sieg über die Marseillaise

Aber Ehre, wem Ehre gebührt. Bei seinen 40 Goldehrungen hatte China etwas zu bieten, das alle anderen Nationen klar in den Schatten stellt. Es geht um konzertante Kehlen beim Abspielen der Nationalhymne. Frankreich hätte hier im absoluten Vorteil sein müssen. Zum einen, weil man euphorisiertes Heimpublikum in Zahlenüberlegenheit aufbieten kann. Zum anderen, weil die „Marseillaise“ besonders hymnisch ist und sich so wunderbar schmettern lässt.

Es geht noch mehr

Klar, bei den glorreichen Siegen des französischen Top-Schwimmers Léon Marchand klang das schon recht zünftig, aber es mehr wäre drin gewesen. Das sah man beim Tischtennis, wo in allen fünf Wettbewerben bei der Siegerehrung am Ende selbstverständlich Chinas Nationalhymne dran war. Für überzeugenden Klangerfolg braucht es nicht nur eine kritische Masse an Fans, sondern eben auch Disziplin, Können und Konzentration.

Kein Lalala

Anders als siegestrunkene Franzosen haben chinesische Zuschauer in der musikalischen Minute nicht gegrinst, gewinkt, am Smartphone gefummelt und Textlücken mit Lalala überbrückt, sondern gesungen, was das Zeug hält, laut und präzise. Ein akustisches Erlebnis der Sonderklasse mit Topwerten bei Melodietreue, Takthalten und einem gar riesigen globalen Vorsprung in Sachen absoluter Textsicherheit.

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