Mailand

Italiens ewiger Traum von der Brücke nach Sizilien

Die neue italienische Regierung hat ein uraltes Thema aus dem Aktenschrank geholt, mit dem sich schon viele Vorgängerregierungen blaue Flecken geholt haben: den Bau einer Verbindung zwischen dem italienischen Stiefel und der Insel Sizilien.

Italiens ewiger Traum von der Brücke nach Sizilien

Die neue italienische Regierung hat ein uraltes Thema aus dem Aktenschrank geholt, mit dem sich schon viele Vorgängerregierungen blaue Flecken geholt haben: den Bau einer Verbindung zwischen dem italienischen Stiefel und der Insel Sizilien. Vor allem Verkehrsminister und Lega-Chef Matteo Salvini, der im Schatten von Premierministerin Giorgia Meloni steht, will sich damit pro­filieren.

Es sei teurer, das Bauwerk nicht zu errichten, als es zu errichten, erklärte er gerade. Salvini will Mittel des Europäischen Wiederaufbauprogramms einsetzen, um die Brücke endlich zu bauen. Doch warum sollte es ausgerechnet diesmal funktionieren? Ein Großteil der Mittel des Programms kann wegen der komplizierten Bürokratie nicht ausgegeben werden. Und obwohl erste Pläne für eine solche Verbindung schon 1866, kurz nach der Einigung des Landes, vorgelegt wurden, ist bisher zwar viel Geld für Planungen ausgegeben worden, doch es ist nichts geschehen. Wer mit dem Auto oder Zug nach Sizilien will, muss nach wie vor eine Fähre nehmen.

Nach den ersten Ideen für die Verbindung dauerte es hundert Jahre, bis in den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts ernsthafte Pläne dafür entwickelt wurden. Ende der sechziger Jahre schrieb die Straßen-Infrastrukturgesellschaft Anas einen Wettbewerb aus. Sieger Sergio Musmeci wollte eine kühne Verbindung zwischen zwei 600 Meter hohen Pfeilern am Festland spannen. Doch das erwies sich als unrealistisch und technisch kompliziert. Das Projekt scheiterte. Wenn man an die zur gleichen Zeit errichtete Autobahnbrücke von Genua denkt, die 2018 eingestürzt ist, mag das ein Glück gewesen sein.

Dabei erscheint es keineswegs unmöglich, die etwa drei Kilometer zu überwinden. Die gegenüberliegende Seite scheint zum Greifen nah. Die Schwierigkeit liegt in dem instabilen Gelände, sehr starken Winden und Strömungen sowie der großen Erdbebengefahr. 1908 zerstörte ein solches Erdbeben die Stadt Messina auf sizilianischer Seite vollständig.

Andererseits: Auch über den Belt in Dänemark, in Japan oder bei San Francisco spannen sich seit langer Zeit kühne Brücken. Und unter dem Kanal zwischen Großbritannien und Frankreich gibt es seit vielen Jahren einen Tunnel, der allerdings ökonomisch ein Desaster war. Eine Tunnellösung auch zwischen Sizilien und Kalabrien ist schon geprüft worden.

Wie so vieles anderes. Neue Anläufe gab es 1971 und 1981, als dafür eigens die staatliche Gesellschaft „Stretto di Messina“ (Meerenge von Messina) gegründet wurde. Es gab diverse Machbarkeitsstudien und Anfang dieses Jahrtausends sogar erste Arbeiten für die Errichtung eines Pfeilers. Doch immer wieder kam etwas dazwischen, Regierungswechsel, Wirtschafts- und Budgetkrisen etwa. Der Baukonzern Salini Impregilo gewann sogar eine Ausschreibung. Kalkulierte Kosten: 3,8 Mrd. Euro. Regierungschef Mario Monti stoppte 2011 wieder alles. Die Kosten für Pläne, Ausschreibungen, begonnene Arbeiten, Personal sowie Forderungen des Baukonzerns, der Schadenersatz verlangt und an dem inzwischen die mehrheitlich staatliche Förderbank Cassa Depositi e Prestiti (CDP) beteiligt ist, summieren sich inzwischen auf etwa 1,2 Mrd. Euro.

Salvini rechnet nun mit Baukosten von 6 bis 7 Mrd. Euro, aber wie er darauf kommt, ist unklar. Denn die Pläne der Vergangenheit sind mittlerweile Makulatur. Unter Premierminister Giuseppe Conte wurden vor wenigen Jahren noch einmal 50 Mill. Euro für eine neue Machbarkeitsstudie ausgegeben, und auch Mario Draghi beschäftigte sich mit der Thematik. Doch weitergegangen ist nichts.

Warum ausgerechnet Meloni und Salvini es schaffen sollen, ist unklar. Die Probleme sind gleich geblieben, der Bürokratiedschungel ist trotz der Reformversuche Draghis immer noch undurchdringlich, und ob der Bau wirklich prioritär ist für ein Land, das mit unglaublich vielen Problemen zu kämpfen hat, bleibt offen. Immerhin: Es gibt ein positives (?) Beispiel. Das Schleusensystem Mose, das Venedig vor Hochwasser schützt, wurde nach mehr als 20 Jahren Bauzeit mit deutlich höheren Kosten als veranschlagt und viel Korruption vor etwas mehr als einem Jahr fertiggestellt. (Börsen-Zeitung, 7.12.2022)