Genua

Italiens Politiker und ihre Rentenversprechen

Das Thema Renten spielt in Italiens Wahlkampf eine große Rolle. Während viele Italiener vergleichsweise früh in den Ruhestand wechseln, arbeiten andere umso länger.

Italiens Politiker und ihre Rentenversprechen

Friseur Stefano ist eine Institution im Viertel. Er steht hier in seinem kleinen Salon im Zentrum von Genua seit den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts und bedient ausschließlich Männer. Die Einrichtung ist etwas in die Jahre gekommen, aber das kümmert den 75-Jährigen nicht sonderlich. Eine Renovierung ist nicht geplant. Der Haarschnitt, ausschließlich mit der Schere, kostet 15 Euro. Der Preis ist seit Jahren gleich geblieben. Wäre nicht die Corona-Pandemie gekommen, hätte sich wohl wenig verändert für Stefano.

Doch Corona hat viele seiner meist älteren Kunden dahingerafft. Auch sein Freund Giovanni, der seit Jahrzehnten aushalf und „schrecklich Angst vor Corona hatte“, ist gestorben, seufzt er. Nun steht er oft allein hier und wartet auf Kunden. Doch viele von ihnen bleiben aus. Sie hätten noch immer Angst und ließen sich die Haare lieber zu Hause von der Frau schneiden, berichtet der gesprächige Stefano.

Er verweist auf die vielen Läden in seiner Straße, die Opfer der Pandemie geworden sind und dichtgemacht haben. Zur Erinnerung an bessere Zeiten holt er ein Foto­album heraus. Stefano, der früher auch Auftritte als Komiker hatte, ist da neben Silvio Berlusconi zu sehen, der ihm lächelnd auf die Schulter klopft.

Dieser Berlusconi ist es, der Rentnern wie Stefano jetzt unter die Arme greifen will. Der 86-Jährige hat versprochen: Alle Italiener, auch jene, die nie in die Rentenkasse eingezahlt haben, „vor allem die vielen Mütter, die sich ein Leben lang für uns abgeschuftet haben“, sollen eine Mindestrente von 1000 Euro monatlich erhalten. Auch Stefano, der nach etwa 60 Arbeitsjahren, die ersten als Angestellter, gerade mal 700 Euro bekommt, wäre ein Nutznießer dieser Maßnahme, deren Kosten noch nicht kalkuliert worden sind.

Doch das hat in Italien, einem Land, dessen Geburtenrate mit 1,17 Kindern pro Frau ganz hinten in der europäischen Geburtenliste steht und dessen erwerbsfähige Bevölkerung in den nächsten 20 Jahren um 6,8 Millionen schrumpfen wird, noch nie jemanden gekümmert. Es gab oft großzügige Vorruhestandsregelungen wie die „baby pensioni“, die es Frauen bis in die 90er Jahre erlaubten, nach 14 Jahren und sechs Monaten schon mit Mitte 30 in den „Ruhestand“ zu gehen. Die finanziellen Folgen der 150 Mrd. Euro teuren Maßnahme sind bis heute zu spüren.

Die Populisten-Regierung aus 5 Sternen und der rechtsnationalen Lega drehte dann 2018 die Rentenreform Mario Montis, der das Rentenalter auf 67 erhöht hatte, zurück. Wer 40 Beitragsjahre hatte, konnte fortan schon mit 60 in Rente gehen. Selbst Premierminister Mario Draghi traute sich nicht, diese Maßnahme rückgängig zu machen. In einer Übergangslösung, die zum Jahresende ausläuft, hob er das Renteneintrittsalter lediglich um zwei Jahre an. Und nun versprechen Lega-Chef Matteo Salvini und Berlusconi neue rentenpolitische Wohltaten.

Stefano zuckt nur mit den Schultern. „Parole“, sagt er. „Leere Worte“ der Politiker, meint er. Zum Glück hat er seine Wohnung vor Jahrzehnten gekauft und muss keine Miete zahlen. Seinen Friseurladen schließt er meist schon gegen 15 Uhr. „Es ist zu heiß“, meint er und fügt hinzu: „Diejenigen, die kommen, sind eher am Vormittag da.“ Er öffnet schon um 7 Uhr 30. Da kommen die Berufstätigen.

Doch nun, im heißen August eines ohnehin sehr heißen Sommers, der schon im Mai begann, ist kaum noch jemand auf der Straße zu sehen. Viele sind schon am Meer oder in den Bergen. Vielleicht nach Süditalien.

Auch Stefano fährt in diesen Tagen dorthin. Er kam als 13-Jähriger aus seiner Heimat, der süditalienischen Basilicata, nach Genua, wo er einen Onkel hatte. Er lernte das Friseurhandwerk, „denn ich wollte schon immer Friseur werden“. So wie jeden Sommer fährt er auch diesmal zwei Wochen heim. Von der nahen Piazza della Vittoria nimmt er seit jeher den Nachtbus zu seiner Schwester. Sein Schwager holt ihn dann am nächsten Morgen in der Kreisstadt ab. „Da trinken wir einen Kaffee, essen eine Brioche und dann fahren wir noch 15 Kilometer ins Dorf.“

Ende August sperrt er dann seinen Laden wieder auf. In Rente zu gehen, daran denkt er nicht. Wahrscheinlich wäre es ihm zu Hause in der Wohnung auch zu langweilig.

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