LEITARTIKEL

Jagd auf ein Virus

Die Pharmaindustrie zeigt, was sie kann. Weltweit wird mit Hochdruck an Medikamenten und Impfstoffen gegen das neue Coronavirus Sars-CoV-2 gearbeitet. Die Infektionsraten steigen exponentiell, es gilt Alarmstufe rot, um die Pandemie einzudämmen, an...

Jagd auf ein Virus

Die Pharmaindustrie zeigt, was sie kann. Weltweit wird mit Hochdruck an Medikamenten und Impfstoffen gegen das neue Coronavirus Sars-CoV-2 gearbeitet. Die Infektionsraten steigen exponentiell, es gilt Alarmstufe rot, um die Pandemie einzudämmen, an der weltweit Tausende Menschen gestorben sind. Es sind bislang keine Therapeutika verfügbar, um vor allem den Personen zu helfen, die von einem schweren Krankheitsverlauf bedroht sind. Die Industrie steht vor einer extrem schwierigen Aufgabe, denn Struktur und Familie des Erregers sind zwar lange bekannt und erforscht, aber wirksame Therapien immer noch gesucht. Der außerordentlich aggressive und in höchstem Maße ansteckende Virustyp stellt die Branche vor große Herausforderungen.Die Entwicklung eines Medikaments vom Reagenzglas bis zur Zulassung dauert in der Regel mehr als zehn Jahre. Deshalb wird im Kampf gegen Corona weltweit versucht, Medikamente und Impfstoffe zu testen, die bereits gegen andere Infektionserkrankungen auf dem Markt sind oder die zumindest schon in fortgeschrittener klinischer Entwicklung in Studien untersucht werden und möglichst nahe vor der Zulassung stehen. Experten gehen aber auch für diese Wirkstoffe noch von einer Entwicklungszeit von mindestens vier bis sechs Monaten für Medikamente und von neun bis zwölf Monaten für Impfstoffe aus. Bei den Therapeutika wird dabei unterstellt, dass bereits zugelassene Arzneien sich vor allem in den derzeit in China laufenden klinischen Studien auch als wirksam gegen Covid-19 erweisen. Dort werden eingeführte Mittel unter anderem gegen Malaria, HIV, Hepatitis oder Ebola an Corona-Patienten erprobt – mit bislang ungewissem Ausgang. Dabei ist von einzelnen bemerkenswerten Therapieerfolgen bei wenigen Patienten zu hören, was noch keine allgemeine Hoffnung schüren kann. Denn diese medizinischen “Wunder” sind leider weit davon entfernt, auch nur im Ansatz systematisch und robust wissenschaftlich belegt zu sein, so dass keine generellen Erfolgsaussichten unterstellt werden können.Das Zeiterfordernis der Forscher lässt sich schwer in Einklang bringen mit den Hoffnungen der Bevölkerung. Die derzeit verordnete Stilllegung des öffentlichen Lebens wird voraussichtlich nicht so lange toleriert werden, bis wirksame Mittel in der Breite verfügbar sind. Pharmaindustrie und Behörden sind jedoch gezwungen, sich auch in Extremsituationen an ethische und medizinische Mindeststandards zu halten. Keiner der Beteiligten kann bei aller Corona-Notwendigkeit das Risiko eingehen, ein Medikament oder einen Impfstoff zu verabreichen, der nicht ausreichend getestet ist und womöglich starke Nebenwirkungen auslöst. Geradezu fahrlässig mutet es an, dass vor allem kleinere Spieler öffentlich die Hoffnung wecken, sie seien in der Lage, bereits in wenigen Monaten einen Impfstoff oder ein Therapeutikum anzubieten, auch wenn die Substanz noch in präklinischer Entwicklung ist und noch nicht am Menschen getestet wurde. Das muss vor allem dann erstaunen, wenn diese Firmen auf Basis ihrer vermeintlich erfolgversprechenden Technologie bislang noch kein einziges Produkt auf den Markt gebracht haben.Der Pharmaindustrie winkt bei erfolgreicher Jagd gegen Corona ein großes Geschäft. Im Vergleich zu anderen Branchen, deren Produktion derzeit vielerorts stillsteht, dürften die Medikamentenanbieter aber auch sonst stabiler durch die Krise kommen, denn die Behandlungen anderer Erkrankungen laufen weiter, wenn sie auch aktuell teilweise in den Hintergrund rücken und nicht dringend notwendige medizinischen Eingriffe verschoben werden. Diese müssen jedoch nachgeholt werden, wenn die Pandemie abebbt. Entscheidend ist, dass der grenzüberschreitende Warenverkehr für Medikamente und Wirkstoffe gewährleistet bleibt, wie es der Schweizer Pharma- und Diagnostikkonzern Roche gerade noch einmal unterstreicht. Deutlich verlangsamen könnten sich indes klinische Studien für verschiedenste Indikationen, weil Krankenhäuser ihre Kapazitäten für Corona-Patienten frei machen müssen.——Von Sabine WadewitzDie Pharmaindustrie arbeitet mit Hochdruck an Therapien gegen Corona. Alleingänge in exklusiven Märkten sollen vermieden werden. ——