LEITARTIKEL

Kaufrausch mit Methode

Wenn Chinesen auf Shoppingtour gehen, entfaltet sich kollektive Kaufkraft in einer solchen Macht und Ballung, dass man dem Phänomen im Westen oft erstaunt und auch ein wenig hilflos gegenübersteht. Ob Luxusgüter in Paris und Mailand, Babymilchpulver...

Kaufrausch mit Methode

Wenn Chinesen auf Shoppingtour gehen, entfaltet sich kollektive Kaufkraft in einer solchen Macht und Ballung, dass man dem Phänomen im Westen oft erstaunt und auch ein wenig hilflos gegenübersteht. Ob Luxusgüter in Paris und Mailand, Babymilchpulver in Deutschland und den Niederlanden und Reiskocher oder elektronische Toilettendeckel in Japan und Korea – chinesische Touristen lassen sich von bestimmten Motiven anstecken, wissen dann genau, was sie wollen, und schlagen mit voller Ressourcengewalt zu. Das Phänomen lässt sich auch auf Unternehmenswelten beziehungsweise Mergers & Acquisitions (M & A) übertragen.Die in diesem Jahr zu beobachtende Welle von Firmenkäufen im Ausland durch chinesische Unternehmen und Finanzinvestoren wird in den Zielländern bisweilen mit sehr gemischten Gefühlen aufgenommen. Das in Berlin ventilierte Unbehagen zum Vorstoß des Hausgeräteherstellers Midea bei dem (nun erst recht) als deutsche Industrieperle wahrgenommenen Roboterbauer Kuka macht dies deutlich. Die Welle an Transaktionen mit Schwerpunkt in den USA und Europa wirkt für viele noch überraschend, ist es aber nicht wirklich. Im Herbst hatten M & A-Experten bereits prophezeit, dass 2016 die Post abgehen würde, und dabei einige im Vordergrund stehende Sektoren identifiziert, nämlich Chip- und Informationstechnologie, Industrieautomation, Agrochemie, Logistik, Transport und Tourismus.Die abkühlende chinesische Konjunktur lässt expansionshungrige Firmen den Blick stärker nach außen richten. Ein unter Abwertungsverdacht stehender Yuan sorgt für einen gewissen Zeitdruck, sich von den Wechselkursrelationen her noch günstige Deals zu sichern. Aus firmen- wie auch nationalstrategischer Sicht sorgen vor allem das Aktionsprogramm Made in China 2025 sowie der neue Fünfjahresplan für eine Aufbruchstimmung, die staatliche und private Unternehmen im Reich der Mitte gleichermaßen erfasst. Der ambitiöse Zielkatalog sieht nicht nur eine Qualitätsoffensive für den Standort China vor, sondern eine Globalisierung chinesischer Firmen, die im zunehmend härteren Wettbewerb um die Befriedigung der Bedürfnisse einer aufstrebenden und anspruchsvolleren heimischen Mittelschicht stehen. Diese schreit förmlich nach Qualitätsgarantien und starken Marken, für die oft eine ausländische Herkunft bürgt. So nimmt es nicht wunder, dass chinesische Unternehmen einen gewissen Marktdruck spüren und auf westlicher Bühne nach M & A-Targets Ausschau halten, die entweder für eine anspruchsvolle Technologie und/oder Qualitätsprodukte und Dienste mit hohem Markenimage stehen.Zahlreiche Avancen der letzten Zeit in verschiedensten Sektoren, sei es bei Pirelli, Club Méditerranée, Lexmark, Ingram Micro, GE Appliances, Motorola und sicherlich auch Kuka lassen sich diesen Motiven zuordnen. Die chinesischen Käufer sind dabei bereit, hohe Preise und Kursprämien zu zahlen, weil sie davon ausgehen, diese Marken mit der Anbindung an den weltgrößten Endverbrauchermarkt auf neue Umdrehungen bringen zu können. Im Prinzip ist dies eine unproblematische Facette eines globalisierten Marktes, in dem Unternehmen aus der weltweit zweitgrößten Volkswirtschaft selbstverständlich in eine stärkere internationale Rolle hineinwachsen.Dass bei Kuka, die als eine Art Speerspitze in Sachen Industrie 4.0 gilt, Fragen nach Technologiesicherung und Standortaushöhlung gestellt werden, ist verständlich. Der neuen Generation von chinesischen Aufkäufern, zumindest, wenn es sich um große und reputierliche Firmen wie Midea handelt, darf man jedoch einen gewissen Vertrauensvorschuss entgegenbringen. Ihre teuren M & A-Transaktionen machen nur Sinn, wenn sie Technologiedesign, Management-Know-how und Forschungskapazitäten vor Ort erhalten und das Markenimage wahren. Mit Technologieraub und Ausplünderung ist Chinas neuen Welten nicht gedient.In gewisser Weise hilft es dabei, dass der Staat als Wächter von Fünfjahresplan und Made in China 2025 auch auf private Firmen starken Einfluss ausüben kann. So wie die Regierung chinesische Touristen energisch auf guten Benimm im Ausland trimmt, hat sie ein manifestes Interesse daran, dass Chinas Firmenkäufer keine verbrannte Erde an deutschen und anderen Standorten hinterlassen. Peking weiß, dass schon ein einziges plakatives schlechtes Beispiel ausreichen kann, um eine Anti-Stimmung zu erzeugen, die eine noch junge Globalisierungskampagne schon im Keim zu ersticken droht.——–Von Norbert HellmannChinas Firmenkäufe im Ausland wirbeln einigen Staub auf. Es gibt aber Anlass zur Hoffnung, dass es sich um disziplinierte und standortverträgliche Vorstöße handelt.——-