Keine Experimente
Rückenwind war eine der am meisten bemühten Metaphern der Parteien am Tag nach der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt. Die CDU spürt nach ihrem fulminanten Zugewinn in Magdeburg Rückenwind für die Bundestagswahl im Herbst. Auch die AfD meint Rückenwind für den Urnengang im Bund aus dem Ergebnis im Land ableiten zu können. Sie verlor zwar Stimmen, blieb aber auf dem zweiten Platz. Der Abstand zwischen CDU und AfD beträgt nun satte 16 Prozentpunkte, obwohl die Rechtspopulisten in manchen Umfragen schon als stärkste Partei gehandelt worden waren. Damit hatte die CDU den Wählern Angst gemacht und verbesserte sich so um rund sieben Punkte auf 37,1%. Die Bundesgrünen konstatierten am Tag danach mangelnden Rückenwind für ihre Wahlkämpfer im Land, die zwar leicht zulegten, aber mit einem weiterhin einstelligen Resultat nicht an die Umfragewerte im Bund heranreichten. Linke und SPD verloren empfindlich; die SPD sank sogar auf ein einstelliges Ergebnis. Die FDP schaffte den Wiedereinzug in den Landtag. Ministerpräsident Reiner Haseloff von der CDU kann weiter regieren – und dies mit einer Koalition seiner Wahl. 2016 kam es zu einem Bündnis wider Willen aus CDU, SPD und Grünen, das zudem eine nur knappe Mehrheit hatte. Dies war damals die einzige Variante: Eine Koalition mit der AfD in der Landesregierung hatten alle Parteien – wie auch diesmal – ausgeschlossen, die CDU auch eine Koalition mit der Linken. Haseloff hat nun folgerichtig Sondierungen mit SPD, Grünen und FDP angekündigt. Verschiedene Kombinationen von Bündnispartnern für die CDU sind denkbar. Das Land kann damit deutlich stabileren Regierungsverhältnissen entgegensehen als bisher.
Der letzte Gang an die Landeswahlurnen vor der Bundestagswahl Ende September war in Berlin mit Spannung als Stimmungsbarometer erwartet worden. Gleichwohl taugt das Ergebnis nur wenig als Indikator für den Ausgang der Bundestagswahl im Herbst, wohl aber das Muster. In Sachsen-Anhalt hat sich das Bild aus Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg wiederholt. Die Wähler setzen auf das Bewährte und auf die politischen Führer, denen sie vertrauen. In allen Bundesländern wurden die Amtsinhaber unterschiedlicher politischer Couleur bestätigt. Die Bundesländer mit Wahlen im März setzen zudem ihre bewährten Koalitionen fort. In Mainz regiert Malu Dreyer (SPD) in einem Jamaika-Bündnis mit Grünen und FDP. In Stuttgart bestreitet der erste grüne Ministerpräsident, Winfried Kretschmann, nun seine dritte Amtszeit – wieder mit der CDU als Juniorpartner an seiner Seite.
Auf den Wahlkampf in Berlin lassen sich die Lehren daraus nur bedingt übertragen. Erstmals wird es in Deutschland eine Bundestagswahl ohne Amtsinhaber(in) geben. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) tritt nach vier Amtszeiten nicht mehr an. Der neuen CDU-Chef, Armin Laschet, und die Co-Vorsitzende der Grünen, Annalena Baerbock, sind lediglich Kandidaten für das höchste Regierungsamt. Der Kandidat der SPD, Olaf Scholz, trägt als Vertreter des kleineren Koalitionspartners zwar den Titel des Vizekanzlers, aber seine Wirkungsstätte ist nur ein Ministerium. Unter allen Kandidaten liefert er die besten Zustimmungsergebnisse als Person – ohne dass sich dies in den Umfragewerten seiner Partei niederschlägt. Alle, die vielleicht noch auf Rot-Rot-Grün gehofft haben, dürften nach der Wahl in Sachsen-Anhalt ernüchtert sein. Diese Variante wäre nach den Umfragewerten ohnehin eine grün-rot-rote. Die schwachen Ergebnisse aller drei Beteiligten in Sachsen-Anhalt lassen diese Kombination im Bund in weite Ferne rücken.
Für Laschets Wahlkampf bedeutet das Wahlergebnis Sachsen-Anhalt: keine Experimente. Je glaubwürdiger er vermitteln kann, den Merkel-Kurs fortzusetzen, desto größer dürften seine Chancen sein. Radikale Richtungsänderungen dürften deshalb auch im Wahlprogramm von CDU und CSU nicht zu erwarten sein. Die Union hat als einzige Partei bislang nicht einmal einen Entwurf vorgelegt. Die Unionsschwestern arbeiten noch daran. Viel wird wegen der Sehnsucht der Wähler nach Zuverlässigkeit und Kurshalten auch davon abhängen, wie fehlerfrei die Protagonisten durch den Wahlkampf kommen. Für die Grünen pfeift der Wind schärfer, seit die Umfragen sehr gut für die frühere Protestpartei standen. Geschlabberte Pflichtangaben im Bundestag über Nebeneinkünfte und die Belastbarkeit des Lebenslaufs der Spitzenkandidatin bekommen im harten Schlagabtausch des Wahlkampfs plötzlich ein anderes Gewicht. Da kann sich der Aufwind auch ganz schnell in einen unangenehmen Gegenwind drehen.