LEITARTIKEL

Kohleausstieg 2030

Bei den Investoren der deutschen Energiekonzerne hat das Aus für die Jamaika-Verhandlungen Erleichterung ausgelöst. Ohne eine Regierungsbeteiligung der Grünen wird der Ausstieg aus der Kohleverstromung wohl nur so langsam vorangehen, wie es ohnehin...

Kohleausstieg 2030

Bei den Investoren der deutschen Energiekonzerne hat das Aus für die Jamaika-Verhandlungen Erleichterung ausgelöst. Ohne eine Regierungsbeteiligung der Grünen wird der Ausstieg aus der Kohleverstromung wohl nur so langsam vorangehen, wie es ohnehin geplant war. Gleichzeitig wird sich der Ausbau der Ökostromerzeugung gegenüber dem bisher geplanten Tempo kaum beschleunigen. Eigentlich wollten die Jamaika-Unterhändler mit Blick auf die Klimaziele 2030 den Weg für einen Kohleausstieg gezielt festlegen und die Obergrenze für den Windstromausbau beseitigen. Doch auch ohne zusätzliche Einflussnahme durch Jamaika vollziehen sich bedeutende Verschiebungen: Bei den Stromterminverkäufen der Steinkohlekraftwerke von RWE hat der Konzern Marge eingebüßt, während sich die gestiegenen Margen für Gaskraftwerke positiv auswirkten. Diese Tendenz wird sich nach der Auffassung des RWE-Vorstands fortsetzen. Eingemottete Gaskraftwerke gehen wieder ans Netz. Sie kommen in Zeiten mit sehr hoher Nachfrage flexibel zum Zuge – nämlich dann, wenn in einer “Dunkelflaute” die Sonne nicht scheint und der Wind nicht weht.Es bleibt auch ohne eine Jamaika-Koalition in Berlin dabei, dass die Energieversorgung nicht allein der Marktlogik folgt, sondern den Vorgaben der Politik. Dabei steht noch mehr als sonst der Klimaschutz im Mittelpunkt. Auf der Klimakonferenz in Bonn wurde an einem Regelkatalog zur Vergleichbarkeit der Klimaschutzanstrengungen gearbeitet. Eine Reihe von Staaten hat den baldigen Verzicht auf Kohle angekündigt. So soll in Frankreich 2021 das letzte Kohlekraftwerk vom Netz gehen.Deutschland hat sich schon viel früher zur Energiewende bekannt. Das hat in den letzten Jahren zu gravierenden Veränderungen geführt. Strom ist in Deutschland durch die Netzentgelte und die Ökostromumlage so teuer geworden wie kaum irgendwo sonst in Europa. Mit den Einnahmen aus den Umlagen ist der Ausbau der erneuerbaren Energien stark vorangetrieben worden. Bis Mitte November ist laut Berechnungen des Energiekonzerns Eon in Deutschland so viel Strom aus erneuerbaren Quellen in einem Jahr erzeugt worden wie nie zuvor. Die Rolle der konventionellen Stromerzeuger wandelt sich vom Produzenten zum Anbieter von Versorgungssicherheit, der die Schwankungen der Ökostromeinspeisung ausgleicht. Das hat bereits zu grundlegend anderen Unternehmensstrukturen und Strategien in der Branche geführt – mit einer klareren Aufgabenteilung entlang der Wertschöpfungskette: In einem ersten Schritt hat der Netzbetreiber Eon seine konventionellen Gas- und Kohlekraftwerke in die Tochter Uniper abgespalten. Der Kraftwerksbetreiber RWE trennte umgekehrt die Netze, den Stromvertrieb und die Ökostromerzeugung in Form der Tochter Innogy ab.Der Umbau der Energiekonzerne ist damit keineswegs abgeschlossen. Das gilt europaweit. Als Nächstes wird Uniper vom finnischen Rivalen Fortum feindlich übernommen und bildet dann einen vergrößerten Kraftwerksbetreiber, der vielleicht weiter zerschlagen wird und dessen deutsche konventionelle Kraftwerke bei RWE landen könnten. Zugleich ist Innogy dabei, sich von ihrer britischen Stromvertriebstochter Npower durch eine Fusion mit dem schottischen Wettbewerber SSE zu trennen. Es entsteht Großbritanniens zweitgrößter Stromvertrieb. Damit nicht genug. Neben den Kraftwerksbetreibern und den Stromvertriebsunternehmen finden sich auch die Netzbetreiber zu größeren Einheiten zusammen: RWE hat offenbar erwogen, eine Mehrheit an Innogy an den italienischen Energiekonzern Enel zu verkaufen.Unabhängig davon, auf welche Aufgabe sich die Unternehmen konzentrieren, müssen sie mit dem verschärften Klimaschutz umgehen. Das künftig wichtigste Instrument dafür könnte das europäische Emissionshandelssystem werden. Erst vor wenigen Wochen hat man sich in Brüssel auf eine deutliche Verschärfung geeinigt. So wird der jährliche Reduktionsfaktor für die Zertifikate von 1,7 % auf 2,2 % erhöht. Dies führt bis 2030 zu einer Senkung der Emissionen um 43 % im Vergleich zu 2005. Bis 2050 sollen die Emissionen um 87 % zurückgehen – so soll das europäische Klimaziel erreicht werden. Außerdem sollen die überschüssigen Zertifikate von 2023 an dauerhaft stillgelegt werden. Damit wird das Angebot weiter verknappt und der Preis für Zertifikate perspektivisch nach oben getrieben. Deshalb gilt: Auch ohne dass der Bundestag einen Kohleausstieg mit klarem Zeitplan beschließt, wird er bis 2030 kommen. ——–Von Christoph RuhkampAuch ohne dass der neue Bundestag einen Kohleausstieg mit klarem Zeitplan beschließt, wird er kommen. Die Energiekonzerne müssen sich darauf einstellen.——-