Schanghai

Konfuzius aß kein Kimchi

Welches erschwingliche, aber unverzichtbare Haushaltsgerät würde man seinem Kind mit auf den Weg geben, wenn es das Elternhaus verlässt und in die erste eigene Bude aufbricht? In den USA wohl eine Mikrowelle, in England einen Toaster, in China...

Konfuzius aß kein Kimchi

Welches erschwingliche, aber unverzichtbare Haushaltsgerät würde man seinem Kind mit auf den Weg geben, wenn es das Elternhaus verlässt und in die erste eigene Bude aufbricht? In den USA wohl eine Mikrowelle, in England einen Toaster, in China einen Reiskocher, und in Südkorea einen Kühlschrank – und zwar einen separaten. Zwischen Seoul, Daegu und Busan leistet sich ein jeder Haushalt einen zweiten, kleineren Kühlkasten. Das Assistenzgerät hat nur einen Zweck, nämlich Koreas wichtigstes Grundnahrungsmittel Kimchi (salzig-scharf eingelegter Kohl), bei konstanter Temperatur und optimaler Luftfeuchtigkeit frisch zu halten. Die Kimchi-Konservierung ist eine Wissenschaft für sich und erlaubt keine faulen Kompromisse.

In China mag man auch eingelegten Kohl mit einer gewissen Grundschärfe, ist aber nicht so pingelig. In manchen Gegenden spricht man von La Bei Cai – scharfer Chinakohl. Die Mehrheit der Chinesen übersetzt Kimchi jedoch mit Pao Cai, sprich eingelegter Kohl. Damit fangen die Probleme an. Es gibt nämlich eine aus der Provinz Sichuan stammende Variante, die schon immer Pao Cai hieß. Die Fermentierungsmethoden sind die gleichen wie bei Kimchi, dennoch handelt es sich um eine andere Chose, weil Pao Cai lokalen Würzgewohnheiten unterliegt und den berühmten Sichuan-Pfeffer hervorschmecken lässt.

Man könnte es dabei belassen, wenn sich Chinesen und Koreaner aufgrund zahlreicher historischer und kultureller Überschneidungen – zu denen die in beiden Ländern die Gesellschaftsstrukturen prägende konfuzianische Ethik gehört – nicht ständig in der Wolle hätten. Und zwar darüber, wo was eigentlich herkommt, beziehungsweise wer was „erfunden“ hat. Zuletzt behaupteten koreanische Historiker glatt, dass das traditionelle chinesische Drachenbootfest eigentlich koreanische Wurzeln hat. In Sachen Kimchi und Pao Cai wiederum kommt es zu vehementen gegenseitigen Beschuldigungen von unziemlicher kultureller Aneignung. Im Jahr 2013 wurde auf koreanisches Betreiben hin Kimjang – das gemeinschaftliche Herstellen von Kimchi – von der Weltorganisation Unesco zur Liste des immateriellen Kulturerbes hinzugefügt. Die Sichuan-Küche, zu der auch Pao Cai gehört, aber hat es bislang nicht zum Weltkulturerbe gebracht. Ist der Fall damit erledigt? Pustekuchen, über die Frage, ob Chinesen Kimchi als Pao Cai verunglimpfen, entweihen und für sich beanspruchen dürfen, sagt die Unesco nämlich nichts.

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In letzter Zeit sind die bilateralen Differenzen zum wohlgemerkt stets kühl zu haltenden Kimchi wieder einmal richtig hochgekocht. Sichuan hat einen lokalpatriotisch angehauchten Anlauf unternommen und einen Antrag bei der International Organization for Standardization (IOS) gestellt, um Pao Cai als Lebensmittelstandard festzulegen. Aus koreanischer Sicht eine unverschämte Ungeheuerlichkeit, die die dortige Netzgemeinde in Schnappatmung versetzt. Da wird Kimchi also einfach als Pao Cai übersetzt und dann durch die Hintertür als Lebensmittelstandard fixiert!

Das südkoreanische Landwirtschaftsministerium meldete sich mit beruhigenden Worten, um zu betonen, dass Kimchi und Pao Cai so verschieden seien, dass man sich nicht darüber streiten solle. Eine Sprecherin des Pekinger Außenministeriums wiederum versicherte, dass die bilateralen Beziehungen von Kooperation zum gemeinsamen Vorteil geprägt seien, was den Sauerkohl-Disput eindeutig überwiege. Reicht das für eine Détente? Nein, natürlich nicht.

Mitte Juli hat das koreanische Ministerium die Dinge erneut in die Hand genommen und nach „umfassenden linguistischen Recherchen“ einen genialischen Übersetzungsvorschlag gemacht. Ihm zufolge sollen Chinesen Kimchi künftig lautmalerisch verwandt als „Xinqi“ bezeichnen. Damit wäre jede Verwechslung mit schnödem Pao Cai ausgeschlossen und ein geläutertes Verständnis für koreanische Essenstradition sichergestellt. Prompt geht das Reich der Mitte auf die Barrikaden: Wollt ihr uns jetzt erklären, wie die chinesische Sprache funktioniert? Glaubt ihr am Ende noch, dass Konfuzius ein Koreaner war?