Essensdienste

Liefern mit Hindernissen

Die oft schlechte soziale Absicherung der Fahrer und anhaltende operative Verluste nähren Zweifel am Geschäfts­modell der Essensdienste.

Liefern mit Hindernissen

Unter Investoren regt sich Ungeduld gegenüber den lange favorisierten und hoch bewerteten Essenslieferdiensten. Die aufkommende Skepsis hat im Wesentlichen zwei Gründe: die Arbeitsbedingungen der Kuriere und der bis dato ausstehende Nachweis, dass die Geschäftsmodelle profitabel zu betreiben sind. Die als prekär geltenden Beschäftigungsverhältnisse der Fahrer haben den Börsengang der britischen Deliveroo überschattet. Das IPO entwickelte sich zum Desaster, denn nach wenigen Handelstagen ist trotz jüngster Erholung mehr als ein Viertel des Ausgabepreises verpufft. Wichtige institutionelle Investoren lehnten es ab, Aktien von Deliveroo zu kaufen, da die Behandlung der Kuriere nicht mit ihren ethischen und sozialen Anlagekriterien vereinbar sei. Die Auslieferer sind in der Regel als Selbständige unterwegs. Ihr Einkommen hängt davon ab, wie viele Touren sie machen. Auf soziale Standards wie Mindestlohn, bezahlten Urlaub und Krankengeld haben sie keinen Anspruch. Angesichts der zunehmenden Bedeutung von Sozial-, Umwelt- und Governance-Aspekten bei Anlageentscheidungen tut sich eine wachsende Schar von Investoren schwer mit der Branche.

Lieferdienste wie Deliveroo und die im Dax vertretene Delivery Hero müssen sich jetzt mit der Frage beschäftigen, wie lange sie noch auf Freelancer als Säule ihres Geschäftsmodells bauen können. Denn auch außerhalb des Kapitalmarkts wächst die Abneigung gegen diese Beschäftigungsform. Als richtungsweisend gilt ein Urteil des Obersten Gerichts in Großbritannien, wonach der Fahrdienstvermittler Uber seine Fahrer in dem Land als Arbeitnehmer einstufen muss. Die Entscheidung betrifft zunächst zwar nur das beklagte Unternehmen, hat aber Signalwirkung für viele Firmen der Gig Economy. In Spanien plant die Regierung Änderungen der Arbeitsgesetze, die Lieferdienste zwingen würden, ihren Kurieren den Status von Festangestellten anzubieten. Vorausgegangen war ein entsprechendes Urteil gegen den Essensdienst Glovo. Deliveroo warnt im Emissionsprospekt ausdrücklich vor negativen Auswirkungen für das Unternehmen, sollte der Fahrerstatus als Selbständige erfolgreich angefochten werden. Der Börsenneuling hat einen dreistelligen Millionen-Pfund-Betrag zurückgestellt, um sich für mögliche Prozesskosten zu wappnen. In Großbritannien, Frankreich, Spanien, den Niederlanden und Italien laufen bereits Verfahren.

Eng verbunden mit dem Fahrerstatus ist die Frage der Profitabilität. Ein Anspruch auf Sozialleistungen und Arbeitnehmerrechte würde es Anbietern, die ihre Kuriere bisher nicht angestellt haben, noch schwerer machen, dauerhaft in schwarze Zahlen vorzustoßen. Schon bisher steckt die Branche unter dem Strich durchweg tief in der Verlustzone. Besser sieht es in Regionen aus, in denen sich Essensdienste weitgehend auf die Vermittlung und Abrechnung der Bestellungen beschränken und die arbeitsintensive und kostenträchtige Auslieferung den Restaurants überlassen, die die Mahlzeiten zubereiten. Dass der hiesige Platzhirsch Lieferando im vergangenen Jahr in Deutschland eine operative Marge vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen von einem Drittel erzielt hat, hängt nicht nur damit zusammen, dass die Tochter der niederländisch-britischen Just Eat Takeaway nach dem Erwerb des Deutschlandgeschäfts von Delivery Hero und dem Rückzug von Deliveroo keinen ernst zu nehmenden Wettbewerber hierzulande mehr hat. Eine wichtige Rolle spielt auch, dass Lieferando nur wenige Bestellungen selbst ausliefert. In Deutschland beträgt der Anteil mickrige 7%.

Der Verzicht auf eigene Auslieferung hat aber eine Kehrseite: Man verliert die Kontrolle über den Kundenkontakt. Ein Dritter bringt das Essen im Namen der Plattform zum Abnehmer. Braucht der zu lange und die Mahlzeit ist kalt, fällt das auf den Plattformbetreiber zurück. Für die Essenskonzerne wiederum ist es ein höchst komplexes Unterfangen, hereinkommende Bestellungen zeitnah selbst auszuliefern und zugleich die Fahrten so zu organisieren, dass die Routen gebündelt und kosteneffizient optimiert werden. Das gelingt allenfalls in sehr dicht besiedelten Städten, in denen viele Menschen den Bringdienst nutzen. Umso wichtiger ist es, die Orders in die Höhe zu treiben, etwa durch intensives Marketing. Das verstärkt die Dichtevorteile. Delivery Hero versucht außerdem, die Auslastung der Fahrer zu steigern, indem diese nicht nur Mahlzeiten transportieren, sondern auch Fertigwaren wie Lebensmittel und Medikamente. Bisher mit überschaubarem Erfolg, denn der Konzern arbeitet nach wie vor hochdefizitär.