Amsterdam

Lockende Freiheit über den Wolken

Mit steigenden Impfquoten werden Flugreisen für eine größere Zahl an Passagieren attraktiv. Doch der Brexit und rücksichtslose Mitreisende können die Freude am Fliegen schnell wieder vergällen.

Lockende Freiheit über den Wolken

Sie lockt, die Freiheit über den Wolken. Nachdem die meisten Menschen während der Coronakrise lange an den Boden gefesselt blieben, steigt die Zahl der Passagiere an Deutschlands Flughäfen wieder. Doch je nach Ziel droht die Reise ganz schön beschwerlich zu werden. Davon kann ein Lied singen, wer sich kürzlich auf den Luftweg nach Großbritannien gewagt hat – vor allem mit Zwischenstopp. Passagiere, die sich von den einigermaßen geordneten Zuständen am Frankfurter Airport in Sicherheit wiegen ließen, erlebten in der vergangenen Woche beim Umstieg in Amsterdam ihr blaues Wunder.

Dort werden die Folgen von Brexit und Pandemie spürbar, es gilt das Motto: Nach der Kontrolle ist vor der Kontrolle. Zwar konnten EU-Bürger bis inklusive 30. September noch fröhlich mit ihren Ausweisen wedeln, um halbwegs schnell an der Grenzpolizei vorbeizuziehen – seit dem 1. Oktober ist die Einreise ins Vereinigte Königreich aber auch für sie nur mit Reisepass möglich.

Doch auch vor dem vierten Quartal galt am Flughafen Schiphol bereits: Bis ein Passagier seinen Anschlussflug erreicht hat, wird er sein nun benötigtes Einreiseformular für Großbritannien, seinen Impfnachweis und zusätzlichen negativen PCR-Test, seinen Ausweis und seine Bordkarte gefühlte 25-mal aus der Tasche gezerrt und hineingestopft haben, um schließlich schweißgebadet und kurzatmig am Gate anzukommen und von den in Amsterdam startenden Reisenden mit Kanzlermehrheit zum wenigst ersehnten Sitznachbarn in der Maschine gewählt zu werden. Ein Status, den er innehat, bis noch unfittere Umsteigende aus Frankfurt über die Gangway stolpern.

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Voraussetzung für das Erreichen des Fliegers ist indes eine erfolgreich absolvierte Gesundheitsüberprüfung. In der entsprechenden Schlange trifft alles aufeinander, was nach Großbritannien will, heiße das Ziel Birmingham, Bristol oder Southampton. Welche Gefahren das birgt, wird gewahr, als ein Herr mit Manchester-United-Schal und ein Mitreisender, der sein Leeds-Trikot über dem Sweatshirt trägt, einander über die Köpfe anderer Wartender hinweg registrieren und die von britischer Dentalpflege geformten Zähne blecken.

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Kurt Tucholsky wird das Zitat zugeschrieben: „Als deutscher Tourist im Ausland steht man vor der Frage, ob man sich anständig benehmen muss oder ob schon deutsche Touristen dagewesen sind.“ Den Wahrheitsgehalt dieses Bonmots unterstreicht der sächsische Mitbürger auf Sitzplatz 31D, der nicht nur seine Schuhe, sondern trotz mehrfacher Aufforderung der Flugbegleiterin auch konsequent seine Maske ablegt. Ein anderer Passagier, von dem Mitreisende erzählen, legt noch einen drauf, indem er sich einen Döner Kebab ins Flugzeug mitnimmt und diesen dort behaglich verspeist. Eine Freiheit gibt es über den Wolken eben nicht: die, vor Menschen mit Rücksichtsdefizit Reißaus zu nehmen.

               (Börsen-Zeitung,