Manhattans Autobesitzer und Pfandsammler warten auf Godot
Es ist den New Yorkern ein verhasstes Ritual: Zweimal pro Woche hetzen zahlreiche Bewohner der Empire City zu ihren Autos, um sie umzuparken – oft nur auf die andere Straßenseite. Dort verharren sie dann, häufig illegal in zweiter Reihe stehend, und warten auf Godot. Dieser tritt schließlich in Form einer Reinigungsmaschine auf, die auf der von Fahrzeugen befreiten Seite der Straße kehrt. Ist sie – oder der für die Überwachung des Umparkens zuständige Verkehrsbeamte – wieder von der Bühne abgegangen, beginnt der Kampf der Autobesitzer darum, ihre alten Parkplätze zurückzuerobern.
Das absurde Theater wird auf den Straßen Manhattans und Brooklyns seit den 1950er Jahren aufgeführt. Seither haben sich unter Autofahrern verschiedene Strategien herausgebildet: Neben den Doppelparkern gibt es auch Fahrzeugeigner, die mit laufendem Motor auf ihrem alten Parkplatz verharren und einmal um den Block düsen, sobald sich ein Verkehrsbeamter nähert. Wiederum andere verweigern ihren Auftritt in der Straßenreinigungskomödie komplett. Sie lassen ihr Auto einfach stehen und nehmen zwei wöchentliche Strafzettel über 65 Dollar in Kauf. Denn die Alternative, einen Garagenstellplatz zu mieten, ist zumindest in Manhattan mindestens ebenso teuer.
Das Warten der Fahrzeugeigner auf Godot ist indes nur Teil eines größeren dramatischen Zyklus um den Kampf der von Ratten übervölkerten Stadt gegen Unrat. Auch die Mülltrennung nimmt das für Abfallwirtschaft zuständige Department of Sanitation ernst – und produziert doch unfreiwillige Komik. So lassen sich Mitarbeiter der Müllabfuhr dabei beobachten, wie sie mit Kennermiene in die am Bordstein abgestellten Säcke lugen und sich diebisch freuen, wenn sie Abfälle erspähen, die nicht hineingehören. Für den Anwohner, vor dessen Haus der Müll bereitsteht, gibt es dann einen saftigen Strafzettel.
Allerdings machen sich New Yorker durchaus die Mühe, zu Anhörungen im als „Abfallgericht“ bekannten Teil des Office of Administrative Trials and Hearings zu erscheinen und sich zu verteidigen. Nicht ich habe die Budweiser-Dosen in den Papiermüll gestopft, mein Nachbar war’s, heißt es dann. Die Offiziellen bemühen sich zwar oft, Widersprüche in der Verteidigung der Beschuldigten aufzudecken – doch wer unbeirrt bei seiner Geschichte bleibt, dem sind im Abfallgericht nur schwierig Verfehlungen nachzuweisen.
In Queens denkt man unterdessen fortschrittlicher. In dem Stadtteil startete im Oktober ein Kompostprogramm für Lebensmittelreste, das während der Wintermonate allerdings ausgesetzt wurde – seit der laufenden Woche werden organische Abfälle nun wieder gesondert am Bordstein eingesammelt. Ein stadtweiter Kompostdienst soll folgen, leidgeplagte New Yorker zeigen sich aber pessimistisch, dass der „Rollout“ Manhattan wie geplant im Oktober 2024 erreichen wird.
Während Nager an den Bordsteinen vorerst weiter mannigfaltige Verlockungen finden, setzt die Stadt immerhin Anreize zum Recycling von Metall und Plastik. Doch wer als Neu-New-Yorker übermotiviert den Gang zum Pfandautomaten antritt, statt seine Dosen und Flaschen einfach in den Müll zu donnern, der wird sich ernüchtert auf den Rückweg machen. Denn die Speerspitze der Nachhaltigkeitsbewegung bilden zumindest in Harlem jene Recycling-Profis, die mit berstend vollen 100-Liter-Säcken voller Bud-, Coors- und Miller-Dosen anrücken. Abseits dieser Avantgarde haben nur die wenigsten New Yorker in ihrem Leben schon einmal einen Behälter zurückgegeben – die überwiegende Mehrheit akzeptiert die 5 Cent Aufschlag eher als Verkaufsteuer denn als Pfand.
Wer sich trotzdem an einem der wenigen Automaten vor einem Supermarkt anstellt, der sollte ordentlich Zeit mitbringen. Denn bis ein 100-Liter-Sack von seinem dosenförmigen Inhalt befreit ist, dauert es. Zudem verweigern die Automaten mit Verweis auf Überfüllung gut alle fünf Minuten den Dienst. Findige Recycling-Profis stochern dann mit langen, dünnen Holzstäben in den Auffangbehältern herum, doch ab einem gewissen Punkt hilft auch das nicht mehr. Dann ist auch vor dem Pfandautomaten Warten auf Godot angesagt – der schließlich in Form eines genervten Supermarktmitarbeiters erscheint.