Notiert inBerlin

Marzipanhauptstadt Berlin

In Berlin sind eigenständige Industrieunternehmen rar. Aber die Hidden Champions bieten so manche Überraschung.

Marzipanhauptstadt Berlin

Notiert in Berlin

Marzipanhauptstadt Berlin

Von Angela Wefers

Was macht eine Wirtschaftssenatorin so zum Jahresanfang? Dinge, zu denen sie sonst weniger Zeit hat. Franziska Giffey (SPD) geht auf „Made in Berlin“-Tour und besucht in der Hauptstadt Hidden Champions. Giffey, nach der Wiederholungswahl Anfang 2023 von der Regierenden Bürgermeisterin zur Senatorin abgestiegen, hat die Idee dieser Touren von ihrem Vorgänger übernommen. Den parteilosen Berliner Unternehmer Stephan Schwarz hatte sie 2021 zum Wirtschaftssenator gekürt. Nach der Wiederholungswahl machte Schwarz den Weg für sie frei – und dankte es ihr immerhin mit dem Eintritt in die SPD. Für seine Amtszeit gab ihm die Berliner Wirtschaft gute Noten.

Schwarz hatte in Berlin bei seiner ersten Unternehmenstour drei „Made in Berlin“-Betriebe besucht: AMBEG in Berlin-Schöneberg baut Maschinen zur Glasbearbeitung wie Flaschen und Ampullen und hat mit 150 Mitarbeitern seit seiner Gründung 1926 mehr als 4.000 Kunden in aller Welt beliefert; Ohde Neuköllner Marzipan macht mit 150 Jahren Tradition und der Herstellung von jährlich mehr als 20.000 Tonnen feinsten Marzipans Berlin zu einer der Weltstädte der Marzipanproduktion; Bruker Nano – ein US-Ableger produziert Hochleistungsgerät zur Materialuntersuchung an Elektronenmikroskopen.

Giffey setzt bei ihrem Besuch zum neuen Jahr auf Firmen, die sich mit Unternehmergeist und Innovationsfreude international einen Namen gemacht haben: Die Micro Resist Technology GmbH produziert und vertreibt seit 1993 flüssige Photoresisten und Polymermaterialien, um Mikro- und Nanostrukturen zu erzeugen. Genutzt werden die Stoffe in LEDs, Mini-Lichtsensoren von Smartphones oder Mikrolinsen in der minimalinvasiven Chirurgie. Zweite Station ist die Kryolan GmbH, deren Schminke auf der ganzen Welt in Film, Theater und Fernsehen eingesetzt wird. Das Familienunternehmen hat 20.000 Produkte im Sortiment, darunter auch Kunstblut.

Schaut man in die Geschichte Berlins, zeugt eindrucksvolle Architektur aus dem vergangenen und vorvergangenen Jahrhundert von der Industriekultur der Stadt. Werner von Siemens hat in Berlin begonnen, seine „Erfindungsspekulationen“ umzusetzen, und mit neuer Technologie Industriegeschichte geschrieben. Ein ganzer Stadtteil trägt seinen Namen – Siemensstadt. An die einstige Industriestadt Berlin erinnern auch das riesige Werksgelände des ehemaligen Elektrokonzerns AEG oder der Borsigturm, ein frühes Hochhaus in Stahlkonstruktion des einstigen Pioniers im Maschinen- und Lokomotivbau.

Industrie ist heute rar in Berlin. Zu den größten Top-20-Arbeitgebern gehört der Bund: Nummer 1 ist die Bahn – gefolgt von Post DHL und Telekom auf späteren Plätzen. Gleich danach kommt Gesundheit: mit der Charité, Vivantes, der Johannesstift Diakonie und Helios Kliniken. Industrieunternehmen in Berlin haben ihren Firmensitz andernorts: Tesla, Mercedes-Benz, Siemens oder Bayer. Bekannte Namen mit Hauptsitz sind nur Zalando und Axel Springer. Große Hoffnung setzt Berlin auf seine Rolle als Start-up-Stadt. An verschiedenen Orten in der Stadt wird der Unternehmergeist gefördert. In Siemensstadt ist seit einigen Jahren das „Entrepreneurs Forum Berlin“ in einer Halle auf dem Gelände des alten Dynamowerks etabliert. Womöglich kann Berlin auf diese Weise irgendwann wieder an große Industriezeiten anknüpfen.

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