Mehr Erhard wagen
Mehr Erhard wagen
Von Andreas Fink
Christian Lindner
empfiehlt
Milei-Methoden für Deutschland.
Ein gutes Vorbild ist die argentinische Rosskur jedoch nicht.
Es passiert nicht alle Tage, dass Berliner Spitzenpolitiker Präsidenten aus abgewirtschafteten Drittweltländern zum Vorbild erklären. Aber kürzlich forderte FDP-Chef Christian Lindner, Deutschland solle doch „mehr Milei wagen“. Daraus erwachsen zwei Fragen: Wie erfolgreich ist Javier Milei wirklich? Und kann Deutschland von Argentinien lernen?
Am 10. Dezember 2023 übernahm Milei einen Staat, der sich nach zwölf Jahren ohne Wachstum allein mit der Notenpresse finanzierte. Dessen Devisenreserven um 11 Mrd. Dollar im Minus lagen und der mehr als 10% der gesamten Wirtschaftsleistung ausländischen Lieferanten schuldete. Die Inflationsrate war die höchste der Welt: 211%.
Radikale Kürzungen
Milei setzte im Staat die Kettensäge an, die er im Wahlkampf hochhielt. Er wertete den Peso um 54% ab, strich Transfers an die Provinzen und stoppte das gesamte öffentliche Bauwesen. Zudem tilgte er in einem Mega-Dekret sämtliche staatlichen Preisdeckel und strich das gesamte Mietrecht ersatzlos. Neun Ministerien wurden geschlossen, Ämter abgeschafft und der Vorschriftendschungel gelichtet. Ein Modernisierungsministerium soll über 3.000 Rechtsvorschriften streichen oder aktualisieren. Um 27% konnte Milei die Staatsausgaben reduzieren, vor allem, weil er die Bezüge für Rentner und Staatsangestellte deutlich unter dem Inflationsniveau anhob. Zum Jahresende wird er den ersten Budgetüberschuss seit 2008 bekannt geben.
Um die Geldentwertung zu bremsen, verbot Milei jegliche Neuemission. Diese Verknappung des Peso konnte die parallelen Dollarkurse auf das Niveau des – inzwischen wieder überbewerteten – offiziellen Wechselkurses senken. Die Inflation wird 2024 wahrscheinlich 120% betragen, sie sank also deutlich, obwohl Milei sämtliche Preisdeckel aufhob, die seine peronistischen Vorgänger allen Bereichen der Wirtschaft verpasst hatten.
Wall Street überzeugt
Lange fragten sich die Märkte, ob Milei sein Radikalprogramm ohne Parlamentsmehrheiten durchsetzen könne. Mit Vetos gegen zwei Parlamentsbeschlüsse, die Bezüge von Rentnern und Uni-Lehrern erhöhen sollten, überzeugte Milei im Oktober die Entscheider an Wall Street. Der Börsenindex von Buenos Aires stieg 2024 in Dollar um mehr als 100%. Allein im November legten die Staatsanleihen um durchschnittlich 15% zu.
Argentinien muss im Januar 4 Mrd. Dollar für den Schuldendienst bereitstellen. Insgesamt muss Argentinien 2025 mehr als 19,5 Mrd. Dollar zahlen. Nur wenn die ersten 4 Mrd. im Januar problemlos fließen, könnte sich der Weg zu neuen Krediten öffnen und ein Roll-over der Staatsschuld möglich werden. Aber das steht noch im Konjunktiv.
Wirtschaftseinbruch in Argentinien
Sicher ist: Argentiniens Konjunktur brach 2024 um 4,7% ein. Die Regierung deutet eine Erholung an, aber tatsächlich betrifft die allein Rohstoffsektoren: Agro, Öl/Gas und Lithium. Bau und Industrie melden zweistellige Einbußen. Deutlich höhere Preise für Mieten, Lebensmittel, Energie, Bildung und Gesundheit lähmen die Kauflust der Konsumenten. Und die offizielle Armutsquote ist unter Milei von 41 auf 52,9% gestiegen. Dennoch ergeben Umfragen, dass etwa eine Hälfte der Argentinier Milei unterstützt. Aber dieser Rückhalt wird von der Konjunkturerholung abhängen.
Doch Investitionen, die Arbeit schaffen, gab es bislang kaum, kein Wunder bei einer Fabrikauslastung von unter 50%. Milei will weiter streichen, sparen und reduzieren. Aber wenn er übertreibt, könnte eine Zweidrittelmehrheit im Kongress ihn aus dem Amt befördern.
Und was kann Deutschland aus all dem lernen? Wirtschaftlich wenig, denn Argentiniens Wirtschaft ist mit der deutschen nicht zu vergleichen. Vielmehr ist es Argentinien, das sich bei seiner Entbürokratisierung an deutschen Erfahrungen orientiert. Mileis Modernisierungsminister Federico Sturzenegger benannte mehrfach sein großes Vorbild: Ludwig Erhard, der um 1950 ein Dickicht aus überkommenen Regeln lichtete und so das Wirtschaftswunder auf Schiene setzte. Tatsächlich ist Milei ein politisches und kein ökonomisches Phänomen. Damit ein totaler Außenseiter, der den Staat mit der Kettensäge zerlegen will, an die Macht kommt, muss ein Land jegliches Vertrauen in seine Führer verloren haben. Deutschland hat offenkundig massive Probleme in vielen Bereichen. Aber vielleicht sollte es sich bei seinen Wagnissen besser an Ludwig Erhard orientieren.