Versicherer

Mehr Transparenz wagen

Der jüngste Stresstest ist für die Assekuranz zwar gut ausgefallen, hat aber ein großes Manko: Einzelergebnisse gab es nicht. Das muss sich ändern.

Mehr Transparenz wagen

Die frohe Botschaft zuerst: Die europäischen Versicherer sind krisen­resistent. Dies gilt nicht nur rückblickend für den bisherigen Verlauf der Pandemie, sondern auch für zukünftige, schwere Schocks, sei es die Fortdauer der Pandemie in einem anhaltenden Niedrigzinsumfeld oder Wirtschaftskrisen, die zu einem noch niedrigeren risikofreien Zinssatz bei gleichzeitig steigendem­ Risikoaufschlag (Double-Hit-Szenario) führen würden. Das sind die kürzlich publizierten Kernaussagen des fünften Stresstests der europäischen Versicherungsaufsicht EIOPA.

Dieses erfreuliche Bild hat allerdings Kratzer. Denn nicht alle Versicherer wären einer Krise gleichermaßen gewachsen, neun Teilnehmer würden laut Stresstest unter die Mindest-Solvenzquote fallen. Welche Gesellschaften das konkret sind, verrät die Aufsicht allerdings nicht. Einer Veröffentlichung der Daten haben nur wenige Teilnehmer zugestimmt, allesamt eher kleinere Gesellschaften ohne große internationale Präsenz. Keiner kommt aus den großen Staaten des Europäischen Wirtschaftsraums. Auch alle deutschen Teilnehmer, nämlich Allianz, Alte Leipziger/Hallesche, HDI, Münchener Rück und R+V, verweigerten sich der Transparenz.

Da ist es nur ein schwacher Trost, dass sich sieben der neun unbekannten Wackelkandidaten über die Mindestquote hieven könnten, wenn sie etwa Gewinne thesaurieren, Kapital erhöhen oder Aktien und Unternehmensanleihen in Staatsanleihen umschichten. Sollten in einer Krise aber viele Versicherer nach diesem Muster vorgehen, würden sie Verwerfungen an den Märkten womöglich noch verstärken. Noch tiefere Kratzer im Bild verursachen die 31 der insgesamt 44 Teilnehmer des Stresstests, die unter die Solvenzquote von 100% fallen, wenn sie weder Long-Term-Guarantee-Maßnahmen (LTG) wie Volatilitätsanpassungen noch Übergangsregeln bei der Bewertung von Verpflichtungen (Transitionals) nutzen. Transitionals dürfen nur noch bis 2032 angewendet werden, LTG-Maßnahmen sind hingegen integraler Bestandteil von Solvency II. Ohne die Transi­tionals fallen 10 oder 15 Teilnehmer unter die Mindestschwelle, je nachdem, ob Gegenmaßnahmen der Versicherer einkalkuliert werden.

Die Aufsicht will die schwächeren Kandidaten im Test genau beobachten, um sicherzustellen, dass sie auf absehbare Frist auch ohne Hilfskonstruktion auskommen können. Da würde man natürlich gerne die Ergebnisse der einzelnen Versicherer kennen – auch wenn EIOPA­ selbst betont, dass es sich bei den Stresstests nicht um einen „Pass or Fail Test“ handelt, sprich: es kann niemand durchfallen. Aber Transparenz ist den Aufsehern ein großes Anliegen, Marktteilnehmern und der Öffentlichkeit sicher auch.

Die Versicherer begründen ihre Zurückhaltung auch damit, dass die Stressfaktoren realitätsfern seien. In der Tat ist das Szenario streng: Der langfristige Risikozinssatz sinkt weiter, die Rendite zehnjähriger EU-Staatsanleihen steigt um 28 Basispunkte, Aktienkurse stürzen in der EU um 45% ab, Immobilienfonds, Private Equity, Hedgefonds und Rohstofftitel verlieren 40 bis 51% – all das ist heftig, aber nicht unmöglich. Stresstests sollen Ex­trem­szenarien simulieren. Das verstehen auch versierte Marktbeobachter. Die Sorge, es könnte zu Missverständnissen kommen, ist übertrieben.

Auf den ersten Blick verständlicher ist da schon der Einwand, die einzelnen Teilnehmer hätten unterschiedliche Wahrscheinlichkeiten für ihre Berechnungen verwendet, die Ergebnisse seien damit nicht oder nur eingeschränkt vergleichbar. Die EIOPA muss also darauf achten, dass sie den Teilnehmern hier nicht zu große Spielräume zubilligt. Denn dann wäre die Aussagekraft des Stresstests auch auf Branchenebene fraglich. Kritisiert wurde auch die erstmalige Überprüfung der Liquidität – die aber keinen Anlass zur Beunruhigung bietet. Die Verpflichtungen der Versicherer gegenüber ihren Kunden können jederzeit erfüllt werden, auch wenn einige Versicherer ihre leicht liquidierbaren Assets verkaufen müssten.

Nein, es führt kein Weg an einer Veröffentlichung von Einzelergebnissen vorbei – so wie dies übrigens bei Banken längst üblich ist. Der Gesetzgeber sollte aktiv werden, wie dies auch EIOPA-Chefin Petra Hielkema fordert. Vor dem sechsten Stresstest sollten sich Aufsicht und Versicherer austauschen – über ein heftiges, aber noch mögliches Stressszenario, die Spielräume in der Anwendung und nicht zuletzt über die Kennzahlen, die sich für eine Veröffentlichung eignen. Ein Konsens wird sich finden lassen, wenn Transparenz Pflicht ist.

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