Uneinholbar vorn
Notiert in London
Uneinholbar vorn
Von Andreas Hippin
Meine Stimme zählt“, steht auf dem Umschlag mit den Informationen zur Kommunalwahl, die diese Woche in den Londoner Briefkästen landeten. Dahinter steht ein ausgestrichenes „nicht“. Gleichwohl dürften sich viele Menschen in der britischen Hauptstadt so fühlen, denn es gilt als ausgemacht, dass sich Bürgermeister Sadiq Khan (Labour) am 2. Mai eine dritte Amtszeit sichern kann. In der jüngsten Yougov-Umfrage lag er 19 Prozentpunkte vor Susan Hall, der nahezu unbekannten Kandidatin der Tories. Im Februar hatte sich der Abstand noch auf 25 Prozentpunkte belaufen.
Desillusionierte Labour-Anhänger
Vielleicht hat die Selbstgefälligkeit des Amtsinhabers ja doch noch ein paar Wähler abgeschreckt. Denn selbst viele Labour-Anhänger wären froh, wenn es einen anderen Kandidaten gäbe. Rund ein Drittel (34%) von ihnen ist der Meinung, dass Khan in den vergangenen acht Jahren keinen guten Job gemacht hat. So sieht es auch die Mehrheit (52%) aller Bewohner der britischen Metropole. Für die Wähler sind die steigenden Lebenshaltungskosten, die zunehmende Kriminalität und fehlender Wohnraum die zentralen Themen.
Performative Politik
Der auf Menschenrechtsfragen spezialisierte Anwalt ergeht sich dagegen in performativer Politik, die nicht viel kostet, wie etwa der Verleihung von zeitgeistgerechten Namen an Bahnlinien, die keinen brauchen. London ist ihm zu klein. Der Sohn eines pakistanischen Busfahrers aus dem sozialen Brennpunkt Tooting im Londoner Süden strebt auf die Weltbühne, davon zeugen seine Unterstützung für den Wahlkampf von Hillary Clinton 2016 und die Besuche bei seiner Pariser Amtskollegin Anne Hidalgo. Er will über den Wiedereintritt in EU-Zollunion und Binnenmarkt diskutieren. Wäre Tony Blair noch Premierminister, gäbe es wohl nichts, was seinen Aufstieg stoppen könnte.
Gegen Antisemitismus und Islamfeindlichkeit
Man kann ihm nicht vorwerfen, der Parteilinken anzugehören. Khan positionierte sich schon früh gegen Jeremy Corbyn. Es wäre auch falsch, ihm Nähe zu Islamisten zu unterstellen. Als Abgeordneter hatte er sich für die Schwulenehe eingesetzt. Danach erhielt er Morddrohungen von Rechtgläubigen. Ein Imam aus Bradford erklärte ihn per Fatwa zum Apostaten. Khan gehört zu den wenigen Politikern, die sich sowohl gegen Antisemitismus als auch gegen Islamfeindlichkeit einsetzen. Unter Gordon Brown fungierte er als Verkehrsminister und war damit der erste Muslim, der je einem britischen Regierungskabinett angehörte.
Mit Niederlage abgefunden
Er macht nur keine gute Politik. Doch die Tories haben sich mit der drohenden Niederlage längst abgefunden. Sie versuchen nicht einmal, ernsthaft Wahlkampf zu machen. Dass sich Boris Johnson 2008 gegen Amtsinhaber Ken Livingstone durchsetzen konnte, wird von den Konservativen für eine Ausnahme gehalten.
Wer sich eine Alternative wünscht, kann sein Kreuz bei Count Binface machen. Der Komiker mit der Mülltonne über dem Kopf tritt auch dieses Mal wieder an. Besser als nicht wählen ist das.