Notiert inLondon

Der Hass der Hipster

Die Bäckereikette Gail’s ist im Londoner Hipsterviertel Walthamstow nicht willkommen. Ihre Gründer stammen aus Israel.

Der Hass der Hipster

Notiert in London

Der Hass der Hipster

Von Andreas Hippin

In Walthamstow Village im Londoner Osten wird derzeit eine erstaunliche Posse aufgeführt. Der Stadtteil, der einst als ein bisschen anrüchig galt, ist in hohem Maße gentrifiziert. Dort treffen sich Yummy Mummies und Lebenskünstler mit Hipster-Dutt auf eine Chai Latte oder ein Glas Prosecco in einem der edlen Weinlokale. Dann klagt man ein bisschen über die Gentrifizierung, von der man selbst am meisten profitiert. Denn der Preis für ein Eigenheim hat sich binnen eines Jahrzehnts verdoppelt.

Auf dem erstaunlich großen Erzeugermarkt findet sich alles, was das Arrivistenherz begehrt: vom Fleisch mit Gras gefütterter Biorinder bis hin zu Honig aus artgerechter Bienenhaltung.  Man sollte meinen, dass den Bewohnern der Gegend die angebliche Absicht der Nobelbäckereikette Gail’s, dort eine Filiale zu eröffnen, hochwillkommen sein müsste.

Bedrohung für lokale Anbieter

Doch weit gefehlt. Ein Aktivist namens James Harvey legte bei Change.org eine Petition gegen die geplante Niederlassung an. Man respektiere Gail’s zwar für ihre Qualität, heißt es dort, doch stelle ihre Größe und die Reichweite ihrer Werbung eine Bedrohung für die lokalen Anbieter dar. Mittlerweile haben 1.796 Besucher die Petition unterschrieben.

Angeblich würden die Eigentümer, Bain Capital und Ebitda Investments, die Muttergesellschaft Bread Holdings gerne verkaufen. Der Streit um die Expansion in Walthamstow dürfte dafür nicht förderlich sein. Chairman ist der Seriengründer Luke Johnson, der sich mit der Kette Pizza Express einen Namen gemacht hat. In der „Sunday Times“ gab er früher regelmäßig Ratschläge in Sachen Business. Der Bilanzskandal bei der Konditoreikette Patisserie Valerie, die er an die Börse brachte, zeigte jedoch, dass er keinen Überblick über sein Firmenreich hatte.

Israelhasser trauen sich was

Dass die Kampagne gegen Gail’s etwas damit zu tun haben könnte, dass er nicht ins linksliberale Umfeld des Londoner Nordostens passt, zeigt sich in den Online-Kommentaren zur Petition. Johnson verbreite „bösartige Islamophobie und zionistische Rhetorik“, wirft eine Lucy Barnes ihm dort vor. Der Eigentümer Bain investierte Millionen in Technologiefirmen in Israel, „einem Apartheidsstaat, der kontinuierlich internationales Recht verletzt“, kritisiert ein Stephen Woolnough.

Andere belassen es bei Parolen wie „Free Palestine“ oder „Nein zum Genozid, nein zur Gentrifizierung“. Eine Nia Davies schreibt, sie „liebe lokale unabhängige Bäckereien und hasse zionistische Mogule“. Vielleicht könne man ja die palästinensische Bäckerei aus der Wood Street fragen, ob sie dort eine Filiale eröffnen wolle, schlägt ein Edward Davis vor.

„Hier ist alles einmalig“

Den meisten Unterzeichnern der Petition dürfte es allerdings darum gehen, ihr Biotop zu erhalten, den Indie-Chic, der auf Gleichgesinnte erhebliche Anziehungskraft ausübt. „Hier ist alles einmalig“, zitiert der „Guardian“ Jodie Davis aus Chelmsford, die häufig 40 Kilometer anreist, um die Atmosphäre in der Volksrepublik Walthamstow zu genießen. „Es gibt keinen anderen Ort wie diesen.“ Jeder sei höflich, jeder kenne jeden. Sie würde eine Ansiedlung von Gail’s nicht begrüßen.

Gail’s wurde von der israelischen Bäckerin Gail Mejia, dem Geschäftsmann Ran Avidan aus Tel Aviv und seinem Partner Tom Molnar gegründet. Die erste Filiale eröffnete 2005 auf der Hampstead High Street. Johnsons Risk Capital Partners stieg 2011 bei Gail’s ein. 2021 sicherte sich Bain die Kontrolle über das Unternehmen.

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