Leyton und das Coolsein
Notiert in London
Leyton und das Coolsein
Von Andreas Hippin
Der Stadtteil Leyton im Osten Londons hat es in die alljährlich vom Stadtmagazin „Time Out“ veröffentlichte Liste der coolsten Viertel der Welt geschafft. Wer schon einmal da war, fragt sich unweigerlich, was es heutzutage mit dem Coolsein auf sich hat.
Vor einem Jahrzehnt wäre noch kein Tourist auf die Idee gekommen, länger in der heruntergekommenen High Street von Leyton zu verweilen. Doch ein Stadterneuerungsprojekt unter Federführung von Jan Kattein Architects wirkte wahre Wunder. Sie bezogen dabei Grundschüler der nahegelegenen Newport Primary School mit ein, berücksichtigten die lokale Natur des Einzelhandels und verwandelten Francis Road in eine attraktive Einkaufsstraße.
Haggis und Aal in Gelee
Nun kann man auf der nahegelegenen High Road bei Deeney’s, einem Café, das auf schottisch macht, Toast mit vegetarischem Haggis, Cheddar, Rucola und karamelisierten Zwiebeln ordern. Einziger Schönheitsfehler: Es handelt sich um eine Kette, die aus einem Stand auf dem Broadway Market hervorging. Der findet allerdings nicht in Leyton statt, sondern in Hackney. Und Gründerin Carol verbrachte ihre Kindheit nicht im East End, sondern im Café ihrer Mutter im schottischen Nordosten.
Im Noted Eel & Pie House im nahegelegenen Leytonstone gibt es Aal in Gelee. Das Rezept für die handgemachten Pies hat schon vier Generationen überlebt. Ob es cool genug für die Besucher ist, die „Time Out“ nach Leyton bringen wird, ist allerdings fraglich. Auch für die Fans des Leyton Oriental F.C. werden sie wohl nicht viel übrighaben. Dabei sind sie vielleicht das Authentischste, was der Stadtteil zu bieten hat.
„Hipster Hubs“
Coole Viertel seien weit mehr als gleichförmige „hipster hubs“, schrieb Grace Beard, die bei „Time Out“ Reisethemen betreut, in der Einleitung zum aktuellen Ranking. Man habe „ortsansässige Experten“ zu Rate gezogen. Kriterien wie Essen und Trinken, Kunst und Kultur, Gemeinschaftsgefühl und der Eindruck, sich an einem einzigartigen Ort zu befinden, seien ausschlaggebend gewesen.
Komisch nur, dass sich die aufgelisteten Zentren der Coolness in vielerlei Hinsicht ähnlich sind. Es sind in der Regel arme Stadtteile, die sich entweder im Wandel befinden oder eine Transformation gerade hinter sich haben. Sie bieten Akademikern und Künstlern die Möglichkeit, Wohnraum und Gewerbeflächen günstig zu mieten oder sogar zu erwerben. Das trifft auf Belleville in Paris (Platz 20) und das Ostberliner Viertel Friedrichshain (Platz 18) ebenso zu wie auf Kerns in Portland (Platz 5).
Unter Gleichgesinnten
Diversität wird gerne gesehen, weil sich dadurch die Vielfalt des kulinarischen und kulturellen Angebots erhöht. Das gilt etwa für Stokes Croft & St. Paul’s in Bristol (Platz 6), das in hohem Maße von den afro-karibischen Einwanderern profitiert, die dort leben. Auch Craft Beer und Mikrobrauereien werden immer noch goutiert.
Am Ende besteht Coolness offenbar darin, Gleichgesinnte mit ähnlichen Vorlieben zu treffen, egal wohin man geht. Selbst in Leyton.