Dabei sein ist alles
Notiert in London
Dabei sein ist alles
Von Andreas Hippin
Wer dazugehören will, muss in London zu bestimmten Ereignissen eingeladen werden. Die Chelsea Flower Show ist eines davon. Die Party der Royal Academy of Arts vor Eröffnung der alljährlichen Sommerausstellung ist ein Event, das nicht ganz so prestigeträchtig ist. Doch wer dazugebeten wird, ist in der Londoner Gesellschaft angekommen.
Hier treffen sich im Idealfall Künstler, Kritiker und diejenigen, die für Kunst bezahlen. Mehr als 1.700 Werke werden gezeigt. Der Großteil kann käuflich erworben werden. Für diese Ausstellung können sich junge und unbekannte Künstler ebenso bewerben wie Schüler der Kunsthochschule. Zwischen ihren Werken hängen bekannte Namen, eigentlich ein attraktiver Mix.
Austern-Wettessen
Doch offenbar steht vielen der geladenen Gäste der Sinn nach einem Austern-Wettessen mit reichlich Champagner. Die Servicemitarbeiterinnen schaffen es kaum, der Nachfrage Herr zu werden. Die Schalentiere werden ihnen aus den Händen gerissen. Man will sich nicht nachsagen lassen, bei der Bewirtung zu geizen.
Man ahnt es schon: Hier trifft man weniger die Künstlerin oder den großzügigen Mäzen, sondern eher Leute, für die dabei sein alles ist. Ein bisschen weniger Lieblosigkeit würde trotzdem nicht schaden. Die Musik, die das Warten auf den Einlass verkürzen soll, ist mehr Ballermann als Bartok. Drinnen wummern billige Elektro-Beats durch die altehrwürdigen Hallen. In manchen Räumen werden Kunstwerke in Baumarktregalen präsentiert, in anderen auf Holztischen.
Platz schaffen
Sie wolle sich mit der Idee beschäftigen, Platz zu machen, sagt Ann Christopher, die Koordinatorin der Ausstellung, egal ob dabei Raum gegeben oder genommen werde. Das könne man unterschiedlich interpretieren. Platz machen könne Offenheit bedeuten, etwa wenn man für etwas oder für jemanden Platz mache oder Platz zwischen Dingen schaffe.
Doch es gibt keinen Platz in der Ausstellung. Es ist ein endloses Gedränge und Geschiebe. Wer keinen Platz macht, dem wird das Serviertablett in den Rücken gerammt. Die Masse ist ständig in Bewegung, die Flächen weitgehend zugestellt, die Wände bis weit nach oben mit Bildern und Fotografien vollgehängt. Dadurch ergibt sich der Eindruck eines beliebigen Nebeneinanders.
Vernichtende Kritik
Viele Werke würde man eher auf dem Kunstgewerbemarkt einer hessischen Kleinstadt erwarten. Doch hat die Ausstellung ihre Highlights: In Galerie 3 findet sich „Hortus Conclusus“ von Anselm Kiefer. Es erinnert selbst in so einem Umfeld daran, was Kunst sein kann.
Besser als der Kunstkritiker des „Guardian“ kann man es nicht formulieren: Nur weil es diese Sommerausstellung seit 1769 gibt, bedeutet das nicht, dass sie für immer fortgesetzt werden muss. Die Werke von Künstlern wie Georg Baselitz hätten eine bessere Wirkung, wären sie nicht von Schund umgeben. Die Ausstellung ist noch bis zum 18. August in der Royal Academy of Arts, Burlington House, Piccadilly, W1J 0BD, zu sehen. Eintritt: 24,50 Pfund.