Luxusabsteige statt „Tiger Tiger“
Notiert in London
Luxusabsteige statt „Tiger Tiger“
Von Andreas Hippin
Mit „Tiger Tiger“ hat in London eine Institution ihre Pforten geschlossen. Ein Vierteljahrhundert lang war der Club in der Nähe des Piccadilly Circus die letzte Anlaufstelle für alle, die nicht allein schlafen wollten. Voraussetzung war die Bereitschaft, die eigenen Ansprüche nach unten zu schrauben. Der klebrige Boden durfte einen nicht stören, der überwältigende Deodorantgeruch ebenso wenig.
Hier konnte jeder seinen Spaß haben, der an den Türstehern vorbeikam. Es war einer der letzten Orte im Londoner Nachtleben, an dem auch Menschen mit nicht so viel im Geldbeutel willkommen waren. Das Publikum war gemischter als anderenorts.
„Unvergessliche Erinnerungen“
An mangelndem Andrang dürfte es nicht gelegen haben, dass Novus Enterprises „Tiger Tiger“ mit seinen vier Tanzflächen und fünf Bars dichtgemacht hat. Angeblich wurden seit Jahren rote Zahlen geschrieben. Die Zweigstelle in Croydon machte schon 2017 dicht. Auf der Website dankte das Unternehmen seinen Besuchern für viele „Jahre unvergesslicher Erinnerungen“.
„Am meisten werde ich wohl das filigrane Bukett aus Rohypnol, Syphilis und Lynx vermissen“, schrieb ein Reddit-Nutzer. Dort finden sich auch viele üble Worte über die Türsteher. Doch richtig schlecht für den Ruf des Hauses war, dass ein Barmann vor drei Jahren beim Ausschenken der allfälligen Tequilas Ätznatron für Salz hielt.
Geldstrafe von 120.000 Pfund
Vier Frauen mussten danach im Krankenhaus behandelt werden. Er selbst erlitt ebenfalls Verletzungen, weil er das weiße Pulver probierte, nachdem es seinen Gästen schlecht ging. Es hatte einen PH-Wert von 13, wie sich später herausstellte. Der Unfall zog eine Geldstrafe von 120.000 Pfund für „Tiger Tiger“ nach sich.
Nun soll dort ein weiteres Luxushotel entstehen. Als gäbe es in der britischen Metropole nicht genug davon. Da drängt sich der Eindruck auf, dass London nur noch die Bedürfnisse der Superreichen befriedigen will, die dort ihr Geld parken.
Viele Clubs wurden geschlossen
„Tiger Tiger“ ist nicht allein. Das Gratismagazin „Metro“ führt noch vier weitere große Namen auf, die es inzwischen nicht mehr gibt: Aus dem „Herbal“ wurde ein Hostel. Der legendäre Club befand sich in einem Lagerhaus auf der Kingsland Road in Shoreditch.
„Madame JoJos“ in Soho wurde geschlossen, nachdem es vor der Tür zu gewaltsamen Auseinandersetzungen gekommen war.„The Cross“ in Kings Cross und „Proud2“ in Greenwich sind auch dicht.
Nachtleben weniger attraktiv
„Ich trauere nicht um ‚Tiger Tiger‘, aber ich stehe kurz davor, um eine Stadt zu trauern, die zunehmend den Eindruck macht, dass sie vergessen hat, wie man Spaß hat“, schrieb David Ellis, der Restaurantkritiker des „Evening Standard“. Eine Erhebung der „Times“ ergab, dass in London nach 2:00 Uhr morgens weniger Pubs, Clubs und Bars geöffnet haben als in allen anderen britischen Großstädten. Der Night-Time Industries Association zufolge wurden seit März 2020 in Greater London mehr als 3.000 davon geschlossen.